Apr 12, 2017


JOHN ABERCROMBIE - Timeless (ECM Records ECM 1047 ST, 1975)

In einer Zeit, in der die Musikszene im nur schwer definierbaren Bereich zwischen Rock, Jazz und elektronischer Musik förmlich überschwemmt wurde von bis dahin unbekannten Instrumentalisten und neugegründeten Formationen, hatten es auch die talentiertesten Musiker nicht leicht, sich gegen die unüberblickbare Konkurrenz durchzusetzen. Einer, der es wohl trotz dieser ungünstigen Ausgangslage schaffte, einen Namen zu machen, war der Gitarrist John Abercrombie. Schon als er Jazzmusiker wie Gato Barbieri, Chico Hamilton, Jack DeJohnette, Enrico Rava oder Dave Liebman begleitete, fiel Abercrombie durch sein grosses technisches Geschick und durch seine angenehme und flüssige Spielweise auf. Kritiker erwähnten ihn des öfteren positiv, auch wenn er als Sideman grundsätzlich nur eine untergeordnete, beiläufige Rolle spielte. Seit Sommer 1974 gehörte Abercrombie der Band des ehemaligen Mahavishnu Orchestra Schlagzeugers Billy Cobham an. Doch auch dort musste er sich anpassen, sah sich gezwungen, sein Talent zurückzustecken, konnte nicht zeigen, welche Qualitäten wirklich in ihm steckten. Das war dem damals 30 jährigen Gitarristen erst möglich auf seiner ersten eigenen Platte, die Abercrombie mit dem Keyboard- und Synthesizerspieler Jan Hammer und dem Schlagzeuger Jack DeJohnette am 21. und 22. Juni 1974 in New York aufnahm und die 1975 auf dem renommierten deutschen Jazzlabel ECM Records erschien.

"Timeless" hielt noch viel mehr, als alle bisherigen mehr oder weniger sporadischen Statements Abercrombies versprochen hatten. Was bis dahin nur andeutungsweise hörbar war, wurde auf diesem Werk zur Gewissheit: John Abercrombie war einer der fähigsten Elektrikgitarristen seiner Zeit und würde es weit darüber hinaus auch bleiben, bis zum heutigen Tag. Mit seiner Platte "Timeless" legte er einen beeindruckenden Grundstein dazu. Er spielte ausserordentlich warm und geschmackvoll, mit einer spielerischen Leichtigkeit huschten seine Finger über die Saiten und Bünde der Gitarre. Fliessend waren die Uebergänge zwischen verschiedenen Stilarten, die der Musiker geschickt zu seinem ganz eigenen, ganz persönlichen verflechten konnte. Gefühlvolle Improvisationslinien schafften höchsten Hörgenuss: Abercrombie's Phrasen auf seinem elektrisch verstärkten Instrument wirkten sehr laidback, wurden nichtsdestoweniger in einer bislang unerreichten Präzision und Sauberkeit intoniert. Es war eine wirkliche Erholung, den unaufdringlichen Klangmustern sein Ohr zu leihen.

Oft erinnerte Abercrombie's Spielweise an den späten Wes Montgomery, der seine Gitarre in einer ähnlichen Art gefühlsbetont, flüssig und natürlich handhabte. Daneben hatte er eben alles in sich vereint, was einen brillianten und zeitgenössischen Jazzmusiker charakterisierte: den Jazz, den Rock, die ernste Musik von der Romantik bis zur Moderne. In der Wahl seiner Mitspieler Jan Hammer und Jack DeJohnette bewies John Abercrombie eine glückliche Hand. Beide waren Musiker, die im Gegensatz zu ihm selbst sich schon einen Namen erworben hatten. Jan Hammer, bekannt vor allem für seine Mitgliedschaft im Mahavishnu Orchestra, spielte auf "Timeless" hauptsächlich Orgel und Synthesizer. Im Grunde hatte seit Jimmy Smith und Larry Young kein Jazzmusiker mehr auf der Orgel etwas Neues erschaffen können. Jan Hammer war der Erste, der nach langer Zeit wieder einen Versuch unternahm, uf diesem Instrument neue, noch nicht ausgetretene Pfade zu ergründen und zu beschreiten. Mit dem Synthesizer produzierte er eindringliche, durch Mark und Bein schmetternde Bass-Phrasen, spannende Melodie-Sequenzen und über das gesamte Frequenzspektrum angelegte Flächenklänge und fungierte damit als solistisches Gegenstück zu Abercrombie.

Jack DeJohnette, der Dritte im Bunde, war neben Billy Hart der wichtigste Vertreter einer neuen Schlagzeuger-Generation im Jazz, deren oberstes Prinzip es war, nicht mehr zügelloser Kraft und Schnelligkeit, sondern mit Differenziertheit und sparsamer Gezieltheit, weich und einfühlend Felle und Becken zu behandeln. Die Drei spielten zusammen nicht aneinander vorbei: Sie waren zusammen in der Idee, in der Musik. Keiner war Begleiter, keiner Solist. Man gewann nie den Eindruck, einer aus dem Trio sei überflüssig. Auch nicht den, es würde Jemand fehlen, wie beispielsweise ein Bassist. Vielleicht war dieses Trio eines der Kompaktesten, das es bis dahin gegeben hatte im Jazz, das Homogenste und Vollkommenste, auf jeden Fall aber das wohl Harmonischste, denn weder die solistischen Einlagen, noch die komplexen Harmonien wirkten irgendwie als herausstechende Einzelleistungen, nein, selbst in den ausufernden solistischen Ausflügen und quasi improvisierten Momente wirkte das Trio stets 'beisammen', wirkten auf den Zuhörer immer als Einheit.

Die einzelnen Kompositionen waren  von überragender Qualität, zeitweise ziemlich melodisch gehalten für jazzige Verhältnisse, nicht künstlich oder gewollt kompliziert, auch nicht am damals durchaus gängigen Jazz-Rock-Klischee orientiert. In zwei von den insgesamt sechs Stücken duettierten John Abercrombie an der akustischen Gitarre und Jan Hammer am Konzertflügel. In filigranartigen Tonspielen umgarnten sich zirpende Gitarren-Improvisationen und lyrische Piano-Weisen. Abercrombie und Hammer sponnen zarte Klanggeflechte, die von allein oder unisono angedeuteten Themen umlagert waren. Das interessanteste und faszinierendste Stück dieser Platte wurde aber nicht akustisch interpretiert, sondern setzte die von moderner elektronischer Instrumentaltechnik vorgegebenen Möglichkeiten konsequent ein. Dabei handelte es sich um die 12-minütige Titelkomposition "Timeless". Das Stück wirkte in der Tat absolut zeitlos, auch heute noch. Das Stück wurde eingeleitet von tiefen, brummenden, sich nur minimal verändernden, flächigen Synthesizer-Klängen, zu denen sich individuelle Gitarren-Einwürfe voller Emotionen und subtile Becken-Malereien gesellten. "Timeless" bezog seine Spannung aus der in sich logischen Weiterentwicklung, die die einzelnen Klangbögen integrativ aufeinander aufbauten, es nahm den Hörer gefangen durch seine ständige Steigerung, durch seine Geschlossenheit und Ausgewogenheit. Der Höhepunkt der Komposition lag nicht in wilden Ausbrüchen, sondern in einer subtil-tiefgründigen Ruhe, die im Innern des Hörers unbeschreibbare Vibrationen erzeugte.

Mit seinem Debutalbum "Timeless" schuf John Abercrombie ein richtungsweisendes Werk, das spätere Jazzmusiker zu den interessantesten Klang- und Stilelementen inspirierte. Einerseits fingen Jazzmusiker in der Folge damit an, sich auch der New Age- und/oder der Ambient-Richtung anzunähern, auch wurden ethnische Elemente zunehmends wichtig. Aber vor allem geriet der Begriff 'Dynamik' im Jazz durcheinander. Plötzlich entdeckten die Jazzmusiker die Ruhe, ja fast schon die Stille als spannendes Momentum in ihrer Musik. John Abercrombie präsentierte allerdings noch eine weitere Zutat in seine Solomusik, und die dürfte rückblickend wesentlich prägender und weitreichender gewesen sein: Abercrombie machte den Jazz melodischer, ja fast schon lieblich und bewirkte mit seinem auf alle Seiten offenen, stets behutsamen und gefühlvollen Spielstil eine Renaissance der Jazzmusik, die bis heute anhält.





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