KEVIN COYNE - Bursting Bubbles (Virgin Records V2152, 1980)
Wer den Künstler Kevin Coyne umschreiben möchte, der wird einige Bezeichnungen für den musizierenden und malenden Kauz finden, die irgendwie passend sind: Besessener, Liebender, Trinker, Prophet, Einsiedler, Vergessener, Gitarrist, Träumer, Rock'n'Roller, Aussenseiter, Zeichner, Anti-Star, Querulant, Kultfigur, Unbequemer, Stückeschreiber, Alt-Punk, Schauspieler, Alleinunterhalter, Alleskönner, Avantgardist, Maler, Zyniker, Ex-Katholik, Therapeut, Kritiker, Unbekannter, Extremist, Menschenfreund, Dichter, Rasiermesser. 1980 hatte Kevin Coyne seinen bis dato grössten kommerziellen Erfolg gerade hinter sich, als er mit seinem im Jahr zuvor veröffentlichten Album "Millionaires And Teddybears" immerhin einmal richtig Geld verdienen konnte, nachdem er jahrelang von der Hand in den Mund leben musste, weil er Platten veröffentlicht hatte, welche die schräge Klientel in Verzückung bringen konnte, das Gros der Käufer jedoch nicht wirklich die Portemonnaies zücken liess. Kevin Coyne wäre allerdings nicht Kevin Coyne gewesen, wenn er es sich auf dieser endlich erreichten bequemen kommerziellen Couch so richtig gemütlich gemacht hätte. Im Gegenteil: knapp ein Jahr später verstörte er seine Fans wieder mit einem Werk, das sprachlos machte und so ganz in der Tradition seiner bis 1978 veröffentlichten Platten gehalten war: Absurde Alltagsgeschichten, verpackt in teils schräge, teils verstörende akustische Kleinodien, die durch seine sehr markante Stimme noch kruder wirkten.
Kevin Coyne war mit "Bursting Bubbles" in mancherlei Hinsicht einen grossen Schritt zurück gegangen. Genauer gesagt fiel er zurück in die Punk-Aera, deren Ausdrucksformen er immer wieder in seinen Werken verwendet hatte, und zwar schon lange vor der Punkwelle in Britannien in den Jahren nach 1976 durch deren rüpelhafte Protagonisten, denen es nicht nur an spielerischen Fähigkeiten mangelte, sondern auch an einigermassen anständigen Ausdrucksformen. Kevin Coyne's Verständnis für Punk lag im Umstand begründet, dass er den Protest für ein legitimes Mittel hielt, sich über die Menschen und insbesondere die degenerative Gesellschaft lustig zu machen. Dazu wählte er zumeist passende Melodien, die verstörten, Performances, die nahe an den Dadaismus gerieten, und trotzdem wirkte er dabei als so etwas wie ein nachdenklicher Künstler, der nur Fragen in den Raum stellte, die er unbeantwortet liess und einem entgeisterten Publikum noch einen Spiegel vorhielt: Entlarvender Surrealismus, der tief in der verlogenen Gesellschaft (die Bourgoisie war ein Thema, das er auch einmal ganz konkret in einem seiner Songs verwendete) verankert war. Auf der anderen Seite war sich Kevin Coyne um die Jahrzehntenwende herum durchaus bewusst, dass sich der Punk verändert hatte: Er selbst war inzwischen älter geworden und der Punk wurde durch das Business ausgepresst. 1980 waren die nachhallenden Rüpelhaftigkeiten der Punks bestenfalls noch eine Zote in einem Gassenmagazin wert, ansonsten war die entsprechende Szene längst implodiert.
Die Besten machten weiter, Musiker und Bands wie die Buzzcocks, The Clash, aber auch Magazine oder die Stranglers konnten sich sogar bis weit in die New Wave-Zeit der 80er Jahre hinein hangeln: Innovation versprach Weiterkommen. Kevin Coyne jedoch schlug die entgegengesetzte Richtung ein, allerdings ohne den Zeitgeist auszuklammern, denn gerade die Belanglosigkeit der Existenz war immer schon ein wichtiger Teil seiner Songtexte: Die kleinen Menschen mit ihren Problemen, über die man nicht spricht, also weder über die Probleme selbst, noch über die Menschen, die sie haben. Keiner wollte das übernehmen, weil es nicht hip war. Genau darum brauchte es immer einen Künstler wie Kevin Coyne, der nicht nur über die alltäglichen kleinen Sorgen sang, somndern sie auch kannte, aus eigener Erfahrung, weil er eben auch immer ein kleiner Mann gewesen war. Allerdings einer mit einem enorm geschärften Verstand und einem untrüglichen Sinn für messerscharfe Analysen. Coyne, der ehemalige Sozialarbeiter, sang nicht einfach nur über das Leben der kleinen Menschen, er kannte sie auch: Er war nicht ein ferner Beobachter, sondern ein hautnaher Betrachter des Lebens, wie es sich wirklich darstellt und nicht, wie es in der schönen Scheinwelt des Glamours und der Bourgeoisie gepflegt und gehätschelt wurde.
Kevin Coyne war in den Jahren seiner bisherigen aktiven Musiker-Zeit erfahrener geworden, er fühlte sich inzwischen auf eigenen Füssen, in allen Dingen, die er machte, in seiner Haltung zur Musik. Es war seine Angelegenheit geblieben, aber es wurde breiter, offener. Allerdings dauerte das bei Kevin Coyne nicht Tage, sondern Jahre, Schritt für Schritt weiterzugehen. Das hing auch damit zusammen, zu welcher Haltung Coyne in England gezwungen wurde. In Holland, Belgien oder Frankreich gab es bereits viele, die ihm zuhörten. Aber in seiner Heimat England spielte niemand seine Lieder. Nur John Peel tat es, seit vielen Jahren schon. Es hing wohl damit zusammen, dass er keiner Mode gefolgt war, kein spezielles Image gepflegt hatte. Man achtete nicht auf ihn, nicht auf das, was er machte, er war einfach irgendwie immer schon unbequem. John Peel's Dandelion Label brachte Ende der 60er Jahre die beiden ersten von Kevin Coyne mit seiner Band Siren produzierten Alben heraus. Der ehemalige Kunststudent begann, sich in seinen Liedern mit den Erfahrungen aus seiner Arbeit in der Psychiatrie zu beschäftigen. Leben konnte er davon nicht, auch nicht nach seinem neuen Start als Solokünstler (LP "Case History", 1972). Er war weiter als Sozialarbeiter tätig. Seine Songtexte waren Puzzles gesellschaftlicher Impressionen, messerscharf, deprimierend, klagend; ebenso wenig konsumierbar wie seine Stimme. Einschmeichelnde Kompromisse gab es nicht. Sein neues Label Virgin Records und dessen Mentor Richard Branson stellte das an den Verkaufszahlen seit seinem im Jahre 1973 erschienenen Label-Debut "Marjory Razorblade", das bemerkenswerterweise gleich als Doppelalbum erschienen war, fest. Der unerbittliche, zynische, schmerzhafte Kevin Coyne arbeitete nicht für goldene Schallplatten, sondern versuchte einen Weg zu finden, seine Erfahrungen, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken wie kein Anderer - sich gegen Anpassung, Gleichgültigkeit, Gewalt und Verkrüppelung zu wehren.
Im Jahre 1976 begann Kevin Coyne mit Theaterarbeit, schrieb für England's Theater-Aristokraten Kenneth Tynan, trat in dem Fernsehspiel "Don't Make Waves" auf und komponierte 32 Songs für das Musical "England, England", darin starb Elvis Presley. Coyne sah sich in der Tragödie des Todes Elvis Presley's ein stückweit selbst. Deshalb arbeitete er an einem Stück über Jemanden, der nicht nur dieser Elvis war, sondern ein Mensch mit Gefühlen. Es war ein Songzyklus mit Namen "Fat Old Elvis". Er strebte damit eine ehrlich gemeinte Verneigung vor Elvis an, aber eine, welche Elvis-Fans nicht würden verstehen können. Den frühen, bitteren, lauten, brüllenden Rock'n'Roller Kevin Coyne sollte es nicht mehr geben, weder live noch auf Platte. Auf seinem Album "Dynamite Daze" hatte er das Stück "Cry" von Rock'n'Roll Star Johnny Ray veröffentlicht gehabt, und sah dies als sein persönlicher Abgesang auf den Rock'n'Roll in seiner traditionellen Form. Kevin Coyne versuchte sich ständig, weiterzuentwickeln, bei gleichzeitiger Veränderung. Die einzige Konstante blieb dabei die latente Unbequemlichkeit. Er war nie ein Künstler, der es einem leicht machte. Wer ihn allerdings gut kannte, zu seinem Werk den Zugang fand, für den war er einer der ehrlichsten und brilliantesten Beobachter der menschlichen Abründe, und da war es letztlich egal, ob sich diese Abgründe in leisen Tönen, in Zwischentönen, in disziplinieten oder undisziplinierten Tönen manifestierten.
Kevin Coyne hatte auf seinem 1980 erschienenen Werk "Bursting Bubbles" gleich zwei Schritte auf einmal genommen. Einen, mit dem er sich auf seine Vergangenheit der frühen 70er Jahre bezog, und einen, mit dem er verarbeitete, was aktuell um ihn auch musikalisch geschah.Die Platte verstärkte daher seinen bereits erlangten Kultstatus erneut. Seit "Marjory Razorblade" (1973) und dem noch früheren "Case History" (1972) hatte Kevin Coyne keine so intensive, irritierende Platte mehr gemacht. Dem Album "Bursting Bubbles" mangelte es jeglicher Anpassung an die Fast-Leichtigkeit seiner vorherigen Platte "Millionaires And Teddybears". Und doch war dieses Album aktuell wie kaum eine noch so modernistisch aufgemachte Industrie-Rockplatte oder gar Punk-LP. Was Coyne wiederum auszeichnete, war die Präsentation lebendiger Themen. Das kam zu allererst herüber mit seiner Ausnahmestimme. Sie war hier so ausdrucksstark, so leidenschaftlich und variabel wie schon lange nicht mehr. Sie stimmte auch überein mit der jeweiligen Instrumentierung. Ausser wenigen Gitarren, einer Schlagzeug-Rhythmusmaschine und einem Saxophon setzte Coyne nichts ein. Mit seiner Gitarre und seiner Stimme konnte er einen ins Mark gehenden Aufschrei produzieren, nachzuhören etwa im Titel "No Melody". Ein Song, der typisch war für Coyne's Empfindungen von einer Welt, in der Verzweiflung und Frustration, Gewalt und Unterdrückung herrschen und zur Verrücktheit führen können.
Aber seine Sicht war im Kern nicht depressiv. Er zeigte wie kein Anderer mit moderner Musik, was sich unter der Oberfläche der Strukturen, Klischees und Mechanismen verbarg. Songs wie das aufregende "Learn To Swim Learn To Drown" oder "Mad Boy No. 2" waren Blicke nach innen, die er nicht in hippie-hafter Verklärung tat, sondern in nicht leicht zugänglicher Subjektivität. Nicht die einzelnen Worte berührten, sondern die Wärme, die Brutalität, die Kälte, die Rohheit, die Brüche im jeweiligen Song. Coyne reproduzierte nicht einfach die Schemata der Rockmusik, er wandte sie an, löste sie auf, fügte sie zu neuen Klängen zusammen. Und wenn man beim "Old Fashioned Love Song" womöglich zuerst überrascht dachte, dass das irgendwie gut losgeht, würde einen plötzlich ein Schrei wie aus einer anderen Welt aus dem Konsum-Klischee reissen - die Scheinwelt, die Oberflächen wie Seifenblasen platzen lassen. "Bursting Bubbles" war nicht weniger als Kevin Coyne's Angebot, auf die eigene Reise ins Ich zu gehen und auf die Suche nach mir und Dir. Kevin Coyne sagte einmal: "Ich wünschte mir, einmal wie Leonard Cohen oder Bob Dylan vor einem Publikum aufzutreten, das zuhört, wirklich zuhört. Jaja, zehn Pfund kostet sowas, ich habe davon gehört, wie das abläuft. Da ist irgendwas falsch dran". Kevin Coyne indes war und bleibt unbezahlbar.
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