BRAINTICKET - Cottonwoodhill (Hallelujah Records BLPS 19019, 1971)
Sollte es jemals ein Album gegeben haben, das als hypnotisierender LSD-Trip durchgehen könnte, dann wäre es dieses Werk des belgischen Musikers Joel Vandroogenbroeck, der komischerweise mit seiner Band Brainticket einerseits als Krautrock-Vertreter galt, andererseits stets als Schweizer Band bezeichnet wurde. Tatsächlich handelte es sich um eine sehr international zusammengesetzte Band, die allerdings ihr Debutalbum in einem Schweizer Tonstudio aufgenommen hatte. Und auch in der Besetzung fanden sich zwei Schweizer Musiker, nämlich der Schlagzeuger Cosimo Lampis und der Bassgitarrist Werni Fröhlich. Diese beiden Musiker wechselten nach diesem Album zur Schweizer Hard- und Bluesrock-Institution Toad, einer der international erfolgreichsten Schweizer Rockbands aus jenen Tagen. Beim Album "Cottonwood Hill" spielten die beiden eher eine untergeordnete Rolle, denn weder als Komponisten, noch als Arrangeure traten sie bei Brainticket in Erscheinung. Neben Joel Vandroogenbroeck, der später unter dem Bandnamen Brainticket noch weitere Alben einspielte, die jedoch nicht mehr den Bekanntheitsgrad dieses Debutalbums erreichen konnten, komplettierten die Band zum Zeitpunkt dieses Werks der britische Gitarrist Ron Bryer, der zuvor in der Band Berry Window And The Movements, einer relativ unbekannt gebliebenen britischen Soulband gespielt hatte.
Ebenfalls zur Gruppe gehörte der Klangtüftler und für zahlreiche Klangeffekte und -Verfremdungen zuständige deutsche Musiker Hellmuth Kolbe, der von Karlheinz Stockhausen gleichermassen inspiriert war, wie von klassischer Musik, das er beides zuvor auch realisiert hatte. Er war beispielsweise zu hören auf Stockhausen's Platte "Complete Piano Music" aus dem Jahre 1967. Klassische Musik spielte er insbesondere von Chopin und Bach, zusammen mit den Musikern Philippe Entremont, E. Power Biggs und als er sich in der Schweiz niedergelassen hatte, auch mit Hans Vollenweider. Die Künstlerin Dawn Muir, welche auch unter dem Namen Patricia Dawn Cleis bekannt ist, lieferte zu dem Album einige Texte, die zumeist als Rezitate beigemengt wurden. Schliesslich spielte auch noch der deutsche Musiker Wolfgang Paap mit, der eigentlich als Jazzmusiker bei Barney Wilen und Klaus Doldinger spielte. Er lieferte zum Debutalbum "Cottonwoodhill" die Tabla-Klänge. Leader der Gruppe Brainticket aber war Joel Vandroogenbroeck, der mit seiner Orgel und den gelegentlich eingestreuten Flöten als der stilbestimmende Musiker bei diesem Album fungierte. Besonders die stark verzerrte Hammond Orgel setzte dem Werk seinen Stempel auf.
"Cottonwoodhill" gilt unter vielen Psychedelic Rock-Fans als Kultalbum und auch als das weitaus beste Werk von Brainticket. Und in der Tat wartet es in weiten Teilen mit teilweise sehr ungewöhnlichen Klangeffekten auf. Die ersten beiden Stücke des Albums, "Black Sand" und "Places Of Light" klangen durchaus noch recht gängig, entsprachen mit ihren Arrangements durchaus dem bekannten Muster von progressivem und hartem Rock, ganz besonders "Black Sand" mit seinem sehr druckvollen Sound und der dominaten, arg verzerrten Hammond-Orgel klang schon fast wie ein frühes Deep Purple-Stück, wobei sich aber hier die elektrische Gitarre weitestgehend nur auf die Begleitung beschränkte. Einzig der sehr reduzierte, stark verfremdete Gesang fiel aus dem Rahmen. Anstelle eines prägnanten Lead-Gesangs fand sich hier lediglich ein sehr psychedelisches und recht aufdringliches Psycho-Gesinge, das allerdings den wohl durchaus erwünschten, bewusstseinsverändernden Effekt eines Drogentrips erfüllen sollte, was absolut gut gelang. Melodische Gesangslinien fehlten ab dem zweiten Song "Places Of Light" sogar gänzlich, denn schon beim einigermassen relaxed groovenden zweiten Song "Places Of Light" wurde der Songtext nur noch von Dawn Muir gesprochen, was dem ansonsten recht interessant arrangierten Titel mit jazzigen Querflöteneinlagen eine gewisse Monotonie verlieh, die wohl auch hier durchaus gewollt war. Klangen diese beiden Stücke wie gesagt noch einigermassen 'gehörrichtig', wenn auch teilseise wirklich packend, so änderte sich das Stimmungsbild der Gruppe spätestens mit dem dritten Titel "Brainticket".
Auf dieser insgesamt dreiteiligen Suite gründet der eigentliche Kultcharakter des Albums und in gewisser Weise auch der ganzen Band, von der dieses Debutalbum immer schon das bekannteste und auch populärste gewesen ist. Thematisch wurde hier ein vertonter LSD-Trip geboten, der den kompletten Rest des Albums ausmachte. "Brainticket Part I", "Brainticket Part I Conclusion" und Brainticket Part II" bildeten zusammen eine über 26 Minuten lange Reise ins Ich, die man nicht anders beschreiben kann als 'halluzinogener Rock'. Kritiker haben dieser Mammut-Suite oft mangelnde Abwechslung vorgeworfen, was durchaus berechtigt sein mag. Auf der anderen Seite dürfte es genau diese ständig sich wiederholende, mantragleich heruntergerissene Grundthematik sein, die diese Suite zum rockmusikalischen Drogen-Alptraum macht, der dem tatsächlichen Erleben eines Drogentrips durchaus gerecht werden dürfte. Es war einfach eine bemerkenswert coole Zeit damals, die eigentlich alles zuliess, was an spielerischer Freiheit und hirnverbrannten Ideen zugrunde lag. Die Liner Notes auf der Rückseite des originalen Albums lasen sich denn auch wie eine Aufforderung zum sich was reinpfeifen: "Listen to the first recording of this LSD Hashish Fixy Jointy Sound. Take a trip to your inner light. See the hallucinations of reality rise out of the groove. You've got your brainticket now! Hallelujah!"
Der gesamte Trip offenbarte sich praktisch als ein einziges durchgehendes Stück, das musikalisch ausgesprochen variationsarm gehalten war. So basierte es nur auf einem einzigen kurzen, schlichten Orgelriff, das nahezu nur von einer Rhythmusgitarre begleitet wurde und vom Anfang bis zum Schluss permanent, quasi in einer Endlosschleife, wiederholt wurde. Für die dennoch eingestreute Abwechslung sorgten dagegen eine Vielzahl von nacheinander darüber eingespielten unterschiedlichen Geräuschen wie etwa solche von berstendem Glas, typischen Kriegsgeräuschen, dem Geschrei von Affen und/oder Primaten, von rasselnden Weckern, Sirenen und Gehupe, Regen und Wassergurgeln, Kakophonische Elemente, dann wiederum auch die ersten Takte von Beethoven's Neunter Sinfonie und so weiter. Daneben war auch wieder Dawn Muir's Stimme zu hören, die von seelischen Erfahrungen und Gefühlen sprach (nicht sang), mal füsternd, mal gehetzt, mal stöhnend, mal panisch schreiend. Anders als bei damaligen Gruppen wie etwa Pink Floyd, bei denen die Geräusche in ihrer experimentellen Phasen (zum Beispiel auf dem Werk "Ummagumma") zusammen mit den musikalischen Strukturen verschmolzen und wie Instrumente verwendet wurden, verblieben die Geräusche bei Brainticket weitestgehend isoliert vom simplen musikalischen Fundament, das in seiner Montonie tatsächlich einem Mantra glich, allerdings einem, das sehr psychedelisch wirkte.
Zusätzlich eingebaute Tonbandeinspielungen wirkten wie plakativ darübergemalt. Auch die Sprachfetzen von Dawn Muir, oft recht theatralisch vorgetragen, dürften besonders in den hysterischen Momenten manchen Zuhörer an seine Grenzen gebracht haben. Das Ganze klang bisweilen wie eine rumeplige Geisterbahnfahrt, einem avantgardistischen Hörspiel oder dem Soundtrack zu einer dadaistischen Theateraufführung als nach einem wirklichen Musikstück. Für die einen Zuhörer mochte dies bereits hypnotisch sein, für andere wohl doch eher anstengend oder schlichtweg unverständlich. Ich persönlich würde es so darlegen: Was Brainticket hier als 'Musik' präsentierte, war so etwas wie das, was H.R. Giger 'malt'. Aus heutiger Sicht eher fast amüsant wirkten die Warnungen im Innersleeve der Platte, denn da standen die beiden folgenden Warnhinweise zur Musik auf "Cottonwoodhill": "Advice: After listening to this record your friends won't know you anymore!" Und: "Warning: Only listen once a day to this record. Your brain might be destroyed!".
Danke für die gute und informative Beschreibung von einem Kultalbum, das Erinnerungen an meine Jugend aufleben lässt und das ich auch heute noch gerne von Zeit zu Zeit (in richtiger Stimmung...) höre.
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