Apr 23, 2017


SLACK ALICE - Slack Alice (Philips Records 6308 214, 1974)

Schon die dreijährige Sandra Alfred konnte prima unterhalten und im Alter von zehn Jahren kannte sie auch bereits das Rampenlicht. Da besuchte sie die Aida Foster Stage School, gefördert also von Kindesbeinen an von ihren enthusiastischen Eltern, welche von den Entertainer-Qualitäten ihres Töchterchens absolut überzeugt waren. Die kleine Sandra dankte es ihren Eltern, indem sie sich nach der Schule intensiv um eine musikalische Karriere bemühte, deren erste nennenswerte Stationen allerdings in eine andere Richtung wiesen: Sandra Alfred begann beim Radio zu performen und nahm regelmässig an Talentshows als junge Kandidatin teil. Insbesondere in der Talentsendung 'Educating Archie' trat sie regelmässig an und schuf sich so eine frühe Reputation und legte damit den Grundstein für ihre spätere Gesangskarriere. Aber auch für das Filmgenre interessierte sie sich und so wirkte sie beispielsweise im Jahre 1954 in der klassischen britischen Comedysendung von Dave King mit dem Titel The Belles Of St. Trininans mit. 1957 veröffentlichte sie ihre allererste Single mit dem Titel "Six Day Rock", eine ältere Novelty-Nummer, die in England recht populär war. Das Echo darauf war jedoch praktisch null, weshalb sich Sandra Alfred mehr und mehr auf das Filmbusiness konzentrierte, wo sie in den kommenden Jahren vor allem in vielen Folgen der Sendung The Belles Of St. Trininans mitwirkte.

Erst im Jahre 1963 startete Sandra Alfred einen weiteren Versuch, im Musikbusiness Fuss zu fassen. Für diesen Neubeginn legte sie sich den Künstlernamen Mandy Mason zu und veröffentlichte in der Folge für das legendäre Parlophone Label, auf welchem auch The Beatles ihre frühen Platten veröffentlichten, die Single "A Sweet Love", ebenfalls erfolglos. Die junge Künstlerin liess sich deswegen jedoch nicht aus der Ruhe bringen, wechselte erneut ihren Künstlernamen und nannte sich nun Sandra Barry. Die Plattenfirma Parlophone versuchte erneut, sie unter diesem neuen Pseudonym zu promoten, veröffentlichte aber kein neues Material, weshalb die Musikerin erneut die Plattenfirma wechselte. Sie gelangte nun zu Decca Records, hatte inzwischen eine kompetente Backing Band zusammengestellt, und veröffentlichte mit dieser Backing Band bei Decca Records die Single "Really Gonna Shake". Ihre damalige Backing Band nannte sich The Boys und wurde später eine der erfolgreichsten Mod Rock Bands in England unter dem neuen Bandnamen The Action. Die Boys zur Zeit als Begleitband für Sandra Barry waren der Sänger Reggie King, der Gitarrist Alan King, der Bassist Mike Evans und der Schlagzeuger Roger Powell, die später verstärkt wurden durch den Gitarristen Pete Watson. Als die Single erneut wieder nicht punktete, zerfielen die Boys in ihre Einzelteile, und Sandra Barry stellte erneut eine Begleitband zusammen.

Ihre neue Begleitband hatte es in sich. Sie nannte sich The Jet Blacks und in den Reihen der Band spielte auch der damals noch unbekannte Bassist John Paul Jones, der spätere Led Zeppelin-Bassist und Keyboarder. Mit den Jet Blacks veröffentlichte Sandra Barry einige Singles, drei davon auf Pye Records, die jedoch allesamt erfolglos blieben, was die Künstlerin schliesslich derart demoralisierte, dass sie ihre Gesangskarriere vorerst an den Nagel hängte und auch nicht vor 1973 wieder in Erscheinung trat. Die 1965 veröffentlichte Single "We Were Lovers (When the Party Started)" und eine weitere Single, eine Coverversion des Lloyd Price Hits "Question" waren allerdings alles andere als Mittelmass, und man kann nur mutmassen, dass damals die Flut der vielen neuen Einzelinterpreten und Beatbands einfach viel zu riesig war, und es dadurch viele grosse Talente leider nicht schafften. Sandra Barry gehörte sicherlich mit zu diesen Verlierern, die wirklich gut und den Grossen jener Zeit absolut ebenbürtig waren. Erwähnenswert ist sicherlich auch ihre erste Single, die sie damals auf Pye Records veröffentlicht hatte: Dabei handelte es sich um eine Coverversion des Stücks "The End Of The Line" von Tony Hatch, dem damals sehr populären Mann hinter Petula Clark und Jackie Trent, für die er einige Hits schrieb.

Erst im Jahre 1973 und inmitten des aufkommenden Glam Rocks startete Sandra Alfred einen erneuten Versuch. Auch hierfür wechselte sie wieder einmal ihr Pseudonym. Sie nannte sich jetzt Alice Spring, und ihre neue Band erhielt den Namen Slack Alice. Das leicht verruchte Image einer weiblichen Frontsau gehörte ebenso zum musikalischen Konzept der Gruppe wie der kompromisslose Rock'n'Roll, der so richtig in die Glam Rock-Zeit hineinpasste. Ausserdem überraschte die Band mit taffem Boogie Rock der Marke Status Quo, und sogar eine wundervolle, leicht sphärische Rockballade ("Na-Me-Nihcam (Soldier Of The World") hatte die Gruppe in ihrem reichhaltigen Repertoire. Ein Plattenvertrag gab's auch wieder, diesmal mit dem Philips-Label, das den Trend witterte und Slack Alice ins Glam Rock-Rennen schickte. Dass die Band auch straighten Rock'n'Roll spielen konnte, wie etwa bei den im Jahre 1974 veröffentlichten einzigen Album der Band nachzuhören ist, erhielten Slack Alice auch die Credibility der Pub Rock Szene, und so gastierten sie auch oft mit anderen Pub Rock Bands zusammen.

Stilistisch nahe an der Band Vinegar Joe, klang Alice Spring's Stimme in der Tat sehr änhlich wie jene von Elkie Brooks zur damaligen Zeit: Hell, glasklar und immens kraftvoll rockte die Sängerin durch die hervorragend komponierten Songs des Albums "Slack Alice". Die Rocker klangen wirklich wie Rocker und hatten jede Menge Drive: "Put Me On The Railroad", das Eröffnungsstück der LP und "Mama's Gonna Boogie" zeigten eine gewisse stilistische Verwandtheit zu Vinegar Joe's "Proud To Be (A Honky Woman)", nur das Tempo war anders: Irgendwie noch griffiger, an Biker Rock erinnernd, oder tatsächlich wie ein Mix aus Boogie Rock, Glam Rock und Pub Rock. Daneben präsentierten Slack Alice dann aber auch wieder ganz andere Kaliber. Das Titelstück "Slack Alice" entpuppte sich als fast waschechter Art-Blues-Rock: Ein bluesiger, an die klassische Vaudeville-Hollywood Nostalgia erinnernde Nummer, die durchaus Vergleichen mit beispielsweise der Sensational Alex Harvey Band und deren Songs "Soul in Chains" und "Framed" standhalten konnte.

Eine der stärksten Nummern eröffnete dann die B-Seite der LP: "Mr. Sharpshooter" war ein gradliniger, kerniger Rock'n'Roll, der neben einer glanzvollen Gesangsarbeit auch tolle solistische Einlagen des Keyboarders Joe Cook und des Gitarristen Pete Finberg präsentierte. Interessant waren die Musiker, die Alice Spring hier in ihren Reihen hatte, ganz besonders, denn nicht nur der Keyboarder konnte nach dem Auseinanderfallen der Band noch punkten. Auch die anderen Musiker waren ausserordentlich gut. Eddie Leach spielte beispielweise auf dem Rolling Stones-Album "It's Only Rock'n'Roll" mit, und auch der Gitarrist Mike Finberg konnte sich später als Sessionmusiker behaupten. Am erfolgreichsten jedoch war der Keyboarder Joe Cook, der ausser mit Maggie Bell's Band Midnight Flyer, den grossartigen Stretch mit Elmer Gantry, der Alan Ross Band und dem Schlagzeuger Cozy Powell auch mit dem ehemaligen Marmalade-Sänger Graham Bonnet, mit dem ehemaligen Fleetwood Mac Gitarristen Peter Green und mit Rory Gallagher zusammenspielte.

Der Bassist Mike Howard blieb an Alice Spring's Seite, als die Gruppe Slack Alice das Zeitliche gesegnet hatte, und gemeinsam gründeten sie danach die ebenfalls wenig erfolgreiche Post Punk-Band Darling, in deren Reihen auch ein damals noch unbekannter Musiker mitspielte, nämlich der spätere Dire Straits-Musiker Hal Lindes. Ausserdem gehörte der Schlagzeuger Paul Varley zur Band Darling. Auch er war kein Unbekannter, spielte er doch zuvor als Perkussionist und Schlagzeuger bei der Gruppe The Arrows, deren Mitbegründer er war. Die Band Darling veröffentlichte genauso wie Slack Alice nur ein einziges, relativ erfolgloses Album mit dem Titel "Put It Down To Experience", welches im Jahre 1979 auf Charisma Records erschien. Schlussendlich kann man durchaus sagen, dass Sandra Alfred, wie auch ihre zahlreichen Aliases Mandy Mason, Sandra Barry und schliesslich Alice Spring keinen nachhaltigen Erfolg erzielen konnten. Von allen musikalischen Werken bleibt allerdings das Album "Slack Alice" nicht nur ihr Bestes, sondern ganz allgemein eines der unterschätztesten und unentdeckten Rockwerke der 70er Jahre, die man unbedingt einmal ausgraben sollte.













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