Jul 28, 2017


ARCHIVE - Controlling Crowds (Warner Music 2564692284, 2009)

"Controlling Crowds", die Kontrolle der Massen, lautete das Thema dieses Konzeptalbums von Archive, einer vielköpfigen Band um Darius Keeler und Danny Griffiths. Keeler und Griffiths hatten sich für dieses Werk viel vorgenommen und haben auch entsprechend viel abgeliefert: 13 Songs mit 78 Minuten regulärer Laufzeit plus 4 Songs mit 16 Minuten auf der Bonus CD der erweiterten Ausgabe des Albums. Aber nicht nur vom Umfang her war Controlling Crowds ein ehrgeiziges Projekt. Auch musikalisch verlangte die Band einiges von ihren Zuhörern ab, denn das auf drei Parts verteilte Opus untermauerte seinen Konzeptalbumsanspruch mit zugegebenermassen brilliant umgesetzten Thementeilen und ganz einem Konzeptalbum gegebenen nahtlosen Übergängen und war insgesamt schwerer und kompakter, als die drei Vorgängeralben "Lights", "Noise" und "You All Look The Same To Me".

Streckenweise war der Progressive Rock Anteil gegenüber den Vorgängern, insbesondere gegenüber "Noise" zugunsten von Elektronik, Orchester- und Chorbombast von vereinzelt Wagnerhafter Schwere wie etwa in "Words On Signs" zurückgefahren worden und auch das Songwriting an sich war teils hörbar verändert. Archivetypische, sich auftürmende und zum Ende hin explodierende Titel waren hier zu hören, aber auch Balladen mit richtiggehendem Ohrwurm-Charakter, diese jedoch etwas seltener als zuvor. Die Elemente waren zwar da, aber nicht immer eindeutig songgebunden, etwa als Refrain oder Leitmotiv. Dafür wurde ab und an auch mal wieder gerappt, zum Beispiel in den Stücken "Quiet Time", "Bastardised Ink" und "Razed To The Ground", wobei die Sounduntermalung mal elektronisch futuristisch, dann wieder orchestral und hymnisch ausfiel. Trip Hop war das vielleicht nicht wirklich, stattdessen aber extrem gut gemacht. 94 Minuten Musik waren - in der um zwei Teile erweiterten Version - gewiss kein Pappenstiel. Die musste man erst einmal schreiben und das war Archive ohne nennenswerte Durchhänger gelungen. "Controlling Crowds" war trotz aller Veränderungen und einiger Längen ein aussergewöhnliches Album geworden, dass man aufgrund seiner Fülle von Musikstilen und Song-, respektive Soundvariationen einfach öfter hören musste, bis es sich einem so richtig erschliessen konnte.


Archive wurde 1994 von Darius Keeler und Danny Griffiths gegründet, welche schon vorher zusammen in der Breakbeat Hardcore-Band Genaside II gespielt hatten. Nach einiger Zeit wollten sie ihren Musikstil jedoch ausweiten und begannen, ihre eigenen Lieder zu schreiben. Das erste Album, zusammen mit der Sängerin Roya Arab und dem Rapper Rosko John, namens "Londinium" erschien 1996 beim renommierten Plattenlabel Island Records. Es war stark beeinflusst von Massive Attack, enthielt aber auch Rap- und Alternative Rock-Elemente. Trotz der guten Kritiken, die das Album erhielt, trennte sich die Band vorerst im selben Jahr, nachdem Unstimmigkeiten zwischen Roya Arab und Rosko John aufgekommen waren. 1999 veröffentlichten Archive ihr zweites Album "Take My Head" mit der Sängerin Suzanne Wooder, das deutlich poppiger und melodischer als ihr Erstwerk ausfiel. Dem Album war jedoch kein kommerzieller Erfolg beschieden.

Ein Jahr später verpflichteten Darius Keeler und Danny Griffiths den Sänger Craig Walker von Power Of Dreams. Es folgte das Album "You All Look The Same To Me", das der Band mehr Popularität verschaffte und gute Kritiken erhielt. Vor allem in Frankreich bildete sich eine grössere Fangemeinde. 2003 produzierte die Band den Soundtrack zu dem französischen Film "Michel Vaillant", ein Jahr später kam das Album "Noise" heraus. Deutlich erkennbar war nun die Stilveränderung zum Progressive Rock hin, auch wenn immer noch Trip Hop-Elemente vorhanden waren. Im November 2004 verliess Craig Walker die Band, wenige Tage vor der Veröffentlichung von "Unplugged". Er wurde durch Dave Pen ersetzt. Im Sommer 2006 erschien das Album "Lights" mit einem weiteren neuen Sänger, nämlich Pollard Berrier, der seit 2005 an den Songs mitgeschrieben hatte. Kurz darauf, 2007, folgte das Album "Live At The Zénith", welches unangekündigt in Paris während eines Konzertes mitgeschnitten wurde.


"Bullets", die erste Singleauskoppplung aus dem Album "Controlling Crowds" (das Video dazu befand sich auf der Doppel CD-Variante mit den beiden weiteren Teilen IV und V) war einfach mitreissend und hätte beispielsweise auch der Gruppe Porcupine Tree gut zu Gesicht gestanden: Gesang, Gitarren, Schlagzeug, Piano, Elektronik, Orchester. Hier stimmte einfach alles "Words On Signs", eine schleppend-hymnische, von Piano und Gesang dominierte Ballade, weckte teils Erinnerungen an Pink Floyd's "The Wall". "Dangervisit" wiederum machte zuerst Anleihen bei Supertramp und steigerte sich dann spannungsgeladen über donnernde Schlagzeugsalven in ein recht ekstatisches Finale. Der Track "Chaos", eine erneut klaviergetragene Ballade überzeugte wiederum durch hervorragenden Gesang und eine grossartige, orchestrale Steigerung. "Funeral" besass alte Qualitäten, geriet aussergewöhnlich erdig, mitreissend und zum Schluß hin auch sehr laut. Das von Maria Q gesungene "Collapse/Collide" begann dagegen düster atmosphärisch, erinnerte in seiner Machart ein wenig an die Formation Air und steigerte sich zu orchestraler Schwere. Der erste Bonustrack mit dem Titel "Killing All Movements" war eher gitarrenlastig, rockig und hätte, nur um der Orientierung willen, auch von U2 stammen können. Der zweite Bonustrack "Children They Feed" wirkte im besten Sinne roh, straight und von einer äusserst trockenen Schlagzeugrhythmik dominiert.

"Controlling Crowds" bot noch viele weitere Highlights, sehr wenige Schwachstellen und war insgesamt eines der Alben, die nicht alle Tage erscheinen. Eine aussergewöhnliche Band mit einem erstklassigen Album, bei welchem die Variante als Doppel-CD auf jeden Fall erste Wahl sein sollte. Das 2009 bei Warner Music veröffentlichte "Controlling Crowds" beinhaltete die ersten drei Teile des Konzeptalbums. Ein halbes Jahr später sollte der vierte Teil als eigenständiges Album nachgeschoben werden. Archive überzeugten mit einer wilden Mischung aus Elektronik, Progressive-und Alternative Rock, zeigte Trip Hop-Anleihen,Orchester- und Chor-Einschübe,streute Rap-, beziehungsweise Hip Hop-Gesang in einer Art und Weise ein, die sich durchaus als avantgardistisch bezeichnen lassen. Trotz bisweilen etwas kühler, mitunter leicht steril wirkender Klänge baute die Band um die Masterminds Danny Griffiths und Darius Keeler stets eine äusserst atmosphärische Spannung auf. Die Mixtur verschiedenster Stilansätze wurde geschickt zu etwas sehr Eigenständigem geformt, quasi ein eigener und recht wiedererkennbarer Stil kreiert.


Einige Sounds und Parts bildeten scheinbar zunächst nur Fragmente, gaben sich dann aber als Teil des Ganzen zu erkennen. Hypnotisierende Wiederholungen in verschiedensten Facetten und Steigerungen in den Tracks waren und sind typisch für Archive und auch im "Controlling Crowds"-Konzept anzutreffen. Ein hoher Wohlfühlfaktor, opulente Gefühlswelten, psychedelische Momente, all das und dazu noch einnehmende Melodien wechselten sich ab oder prallten auch mal aufeinander. Archive waren und sind atemberaubend anzuhören, "Controlling Crowds" bildete da keine Ausnahme. Thematisiert wurden hier die subtile Manipulation und damit die Kontrolle der Massen. Bei der Kompositionsarbeit liessen sich Keeler und Griffiths von anderen Bandmitgliedern wie Pollard Berrier und Dave Pen helfen. Als Gastmusiker waren unter anderem die bewährten Maria Q, Jonathan Noice, Steve Harris, Lee Pomeroy, Smiley, Steve 'Key' Watts und Graham Prescett an Bord. Neben diversen Keyboards, Synthesizern, Bass, Gitarren, Schlagzeug und Gesang waren auch Mellotron, Triangel, (Hammond-) Orgel, Piano und mehr zu hören. Sound-Effekte spielten bei Archive auch immer eine Rolle. Jerome Devoise übernahm wie üblich den Mix der Aufnahme. Das Mastering führte Tim Young durch.




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