THE TANGENT - A Spark In The Aether / The Music That Died Alone Volume Two
(Inside Out Music IOMSECD 419, 2015)
Als ich so um 1971 herum zum erstenmal mit Progressive Rock konfrontiert wurde, gab es für mich diesen Stilbezeichnungs-Wahn noch gar nicht. Da gab es einfach nur gute Musik, die auch mal in den Charts vertreten war und deren Protagonisten Black Sabbath, Free, aber auch Yes oder Emerson Lake & Palmer hiessen. Erst als sich die Rockmusik zu verifizieren begann, trennte man sich vom gemeinsamen Radio-Airplay und Yes und andere Progrock-Institutionen wurden fortan der Kopfmusik beschuldigt, die kompliziert aufgebaut ist und nicht für ein Massenpublikum bestimmt ist. Soweit, so gut. Das Radio stellte sich bald auf bunten Glam Rock und noch später auf den aus den Staaten herüberschwappenden Discosound ein. Was blieb, war der in sich isolierte Progressive Rock, den man sich aus zwei Gründen nicht mehr anhörte: Erstens, weil sich deren Vertreter gerne als musikalische Elite ohne die Verbindlichkeit zu einer klar strukturierten Bodenhaftung päsentierten oder den vorrangig experimentellen Habitus verkörperten, der tunlichst darauf verzichtete, so etwas wie eine mitsingbare Melodie in die Musik einzubauen. Yes als die Aushängeschilder des Stils indes entwickelten sich genau in die Gegenrichtung, wobei sie als eine der ersten Bands schon früh mit einprägsamen Melodien glänzten, die im ersten Ansatz noch so kompliziert erscheinen mochten, sie konnten trotzdem problemlos mitgesummt werden. Yes waren stets kompliziert, ohne kompliziert zu wirken. Bei ihnen klangen komplexe Arrangements luftig leicht, und man hatte kaum je das Gefühl, einer verkopften Band zu lauschen.
Wo stehen wir heute ? Nun, heute ist es wesentlich einfacher: Es gibt die unterhaltsamen Langweiler, die nach mehr klingen wollen als sie sind (das sind meist Klone von Klassikern des Genres), ich nenne sie gerne "Bands des aufgeblähten Nichts" und es gibt die verkopften Musiker, die denken: Je komplizierter, desto mehr Beweis für Talent und Qualität der gebotenen Musik. Beides funktioniert nicht, denn für beides gab es schon eine Vorlage, und dass Vorreiter meist besser sind als Nachahmer, das wissen wir nicht erst seit heute. Denn heute fehlt es etlichen Vertretern des Progressive Rock wieder wie damals an wiedererkennbaren Melodien. Bands und Musiker, für die eine gute Melodie als Grundpfeiler eines Songs an erster Stelle steht und das bis heute konsequent auf ihre Musik anwenden, begeistern mit jeder neuen Platte - wie zum Beispiel die Aushängeschilder dieser Musikrichtung Riverside, Spock's Beard oder The Tangent.
Die Band The Tangent um Andy Tillison lieferte auch 2015 wieder ein musikalisches Highlight erster Güte ab. Im Titel ihrer Veröffentlichung nahm sie Bezug auf ihr 2003 erschienenes Debutalbum "The Music That Died Alone" und gab damit nicht nur die Umschreibung der musikalischen Richtung vor, sondern schloss auch stilistisch einen grossen Kreis, der für die Gruppe eine Rückkehr zu den musikalischen Anfangstagen bedeutete: Am Anfang hatten The Tangent den Canterbury-Stil in ihrem Progrock noch sehr hoch gehalten. Schon sehr bald jedoch entschied sich die Gruppe, auch Pop, Jazz oder harten Rock (nur bedingt) in ihren Sound einfliessen zu lassen, was sie schon sehr bald zu einer der stilistisch vielseitigsten und somit auch interessantesten Band werden liess. Fortan wurden alle möglichen musikalischen Mauern eingerissen, da konnte in einer einzigen Komposition der Spirit von 30 Jahren Rockmusikentwicklung herausgehört werden, was zumindest für mich dazu führte, dass ich fast jeden Song von ihnen mochte, weil ich in jedem Arrangement etwas sehr Vertrautes (und dann auch wieder völlig Unbekanntes) heraushören konnte. So etwas mochte ich schon immer sehr, denn so macht es mir eine Band recht einfach, sie zu mögen.
Auch ihr Album "The Music That Died Alone Volume Two" machte da keine Ausnahme. Es klang vielfältig, präsentierte etliche Glanzlichter und schloss einen grossen Kreis zwischen dem eigenen Debutalbum und dem Hier und Jetzt. Ein phantastisches Werk in einer langen Reihe exzellenter Platten, das sich Versatzstücken früher Pink Floyd ebenso bediente wie zum Beispiel dem lockeren Groove von Donald Fagen und der Coolness von Ian Anderson's Querflöte. Daneben aber auch immer das Ausholen zum grossen Chaos, wenn beispielsweise wie im Stück "Aftereugene" (meinem Lieblingsstück der Platte) ein psychedelisches Grundgerüst schon fast atonal zerlegt wurde durch ein brüllendes, kreischendes, quäkendes Saxophon Solo, das mich unweigerlich an den verrückten Jazzmusiker Rahsaan Roland Kirk erinnerte, der in den 70er Jahren ähnlich intensive Saxophon-Salven abfeuerte.
Andy Tillison und seine brillianten Mitmusiker indes vereinten im die 20 Minuten Laufzeit sprengenden "The Celluloid Road" all das, wofür die Band, aber auch exzellenter Progressive Rock schon immer stand: Hohe Musikalität, beschwingte Rhythmik, unverkopfte Melodien und ein tolles und stimmiges Konzept: Das Stück vereinte die amerikanische Tradition der Filmmusik der 70er Jahre, erinnerte einerseits an "Shaft"-Zeiten, aber auch an die einsamen Helden in den Krimi-Serien aus jener Zeit. So wurde in dem Mammut-Stück sowohl schwarzer Soul und Funk der 70er Jahre verbaut, aber auch der gegen Ende der 70er Jahre aufkeimende Synthesizer-Sound à la Rheingold oder La Düsseldorf war über einige Strecken herauszuhören. Trotzdem war "A Spark In The Aether" ein klassisches Progressive Rock Album, das über sämtliche Ingredienzen verfügte, die ein hochwertiges Album aus diesem musikalischen Bereich haben musste. Es rockte, es verfügte über zahllose sich im Gehirn festklebende Melodien und es war absolut brilliant gespielt. Ein Genuss.
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