Jul 21, 2017


HANOI ROCKS - Another Hostile Takeover
(Major Leidén Records MLCD-013, 2005)

Hanoi Rocks waren eine finnische Rockband, die mit einer sehr direkten musikalischen Art die Vorzüge des klassischen Glam Rocks mit dem teilweise rüpeligen Rhythm'n'Blues der Rolling Stones zu verbinden wusste. Musikalisch war die Gruppe aber auch von Künstlern wie den New York Dolls oder The Stooges beeinflusst. Ihr Stil vereinigte ausserdem Elemente von Blues, Surf Rock, Punk Rock und teilweise auch des Heavy Metal. Die Songtexte befassten sich oft mit Leid und Liebe sowie vorstädtischer Entfremdung. Hanoi Rocks wurden im Jahre 1980 in Helsinki von den Schulfreunden Andy McCoy (geboren als Antti Hulkko) und Nasty Suicide (bürgerlich Jan Stenfors) gegründet. Später wurden sie verstärkt durch den Sänger Michael Monroe (alias Matti Fagerholm), dem Bassisten Sam Yaffa (bürgerlich Sami Takamäki) und dem Schlagzeuger Gyp Casino (richtiger Name Jesper Sporre). 1981 zogen die Musiker nach Stockholm und 1982 schliesslich nach London, um von der dortigen, in ihren Augen wesentlich lebendigeren Musikszene zu profitieren. Später in diesem Jahr wurde der Schlagzeuger Gyp Casino aus der Band geschmissen um durch Nicholas 'Razzle' Dingley ersetzt zu werden.

Obwohl die Band Hanoi Rocks niemals in den Genuss bedeutenden kommerziellen Erfolges kam, entstand mit den Jahren ein beträchtlicher Kult rund um die Glam Rocker. Auch von Kritikerseite ernteten sie für ihren sleazy (zu deutsch 'schlampig', 'locker'), aber melodischen Rock nicht wenig Anerkennung. Sie wurden als Einfluss erfolgreicher Bands wie etwa Guns N’ Roses angeführt. 1983 unterzeichnete die Band beim weltweit agierenden Toplabel CBS Records und es schien, als wäre es der Anfang des kommerziellen Erfolges und einer vielversprechenden Karriere. Die Katastrophe aber brach über die Band herein, als der neue Schlagzeuger Nicholas 'Razzle' Dingley im Dezember 1984 bei einem Autounfall ums Leben kam. Er sass in einem Auto, das von Vince Neil, dem Sänger der Band Mötley Crüe gesteuert wurde. Obwohl Razzle durch Terry Chimes, dem Schlagzeuger auf dem ersten Album von The Clash, ersetzt wurde, kam es nicht mehr zu Aufnahmen. Zuerst verliessen Yaffa und nach ihm Monroe die Band, die dann 1985 ganz zerbrach. Die einzelnen Mitglieder verbrachten die nächsten 15 Jahre in verschiedenen kurzlebigen Projekten und erreichten, obwohl sie mit zahlreichen Künstlern wie Iggy Pop, Stiv Bators und Guns N’ Roses arbeiteten, nie wieder etwas mit ihren frühen Erfolgen Vergleichbares. 2002 reformierten Monroe und McCoy die Band, veröffentlichten ein neues Album und fingen wieder an zu touren.

Nach ihrem grossartigen Comeback-Album "Twelve Shots On The Rocks" aus dem Jahre 2002 beglückten Hanoi Rocks ihre Fans allerdings mit einem weiteren absolut hervorragenden Album. "Another Hostile Takeover" war in Finnland bereits am 30. März 2005 erschienen und schoss dort auch gleich auf die Position 5 der Album-Charts. Neben den beiden Original-Mitgliedern Michael Monroe und Andy McCoy war hier auch der geniale Gitarrist Conny Bloom aus Schweden mit dabei. Dazu Andy 'A.C.' Christell am Bass und Lacu am Schlagzeug. In gewohnt hoher Qualität überzeugten die Musiker auch in dieser reformierten Besetzung wiederum mit ihrem bewährten und typischen, eigenständigen, am klassischen Glam orientierten Sleaze-Rock, der auf "Another Hostile Takeover" so locker daherkam, fetzig und melodiös inszeniert, dass man staunte, dass die Band bislang nur so wenig kommerzielle Erfolge hatte feiern dürfen. Das Album bot erneut starke Songs und kam mit 17 grossartigen Kompositionen immer auf den Punkt.

Hanoi Rocks waren auch live grossartig und zogen eine grandiose Show ab. Von Januar bis März 2005 waren sie auf grosser Europatournee. Sie starteten in Skandinavien, spielten bereits in England, den Benelux-Ländern, auch in Frankreich, Spanien, Italien, der Schweiz, in Deutschland und Oesterreich. Im Mai desselben Jahres gastierten sie in Japan und im Juli und August supporteten die Musiker in ihrer Heimat Finnland Alice Cooper und traten noch an einigen Openairs auf. Besonders erfolgreich waren Hanoi Rocks dabei am raditionellen Ruisrock-Festival am 10. Juli 2005 in Turku, wo neben Hanoi Rocks auch die Alternativ-Rockbands Velvet Revolver, The Hives und HIM auftraten. In Deutschland spielten sie im Anschluss auch noch einmal und zwar am 5. August 2005 am Wacken Open Air Festival. Im Oktober 2008 gab die Band bekannt, sich mit Ende des Jahres 2008 wieder aufzulösen. Diese Auflösung fand schliesslich im April 2009 statt, nachdem die Band im Rock-Club Tavastia innerhalb von sechs Tagen acht ausverkaufte Abschiedskonzerte gegeben hatte.

Zu den einzelnen Songs auf "Another Hostile Takeover": Nach einem kurzen Blubbern im Intro legte "Back In Yer Face" von Anfang an gleich richtig los und drehte den Gute Laune-Faktor kompromisslos nach oben. Ein fröhliches Zwischenspiel passte da gut rein. "Hurt" war im Anschluss ein sehr relaxte, coole Nummer und vor allem textlich sehr unterhaltsam. Mit "The Devil In You" präsentierten Hanoi Rocks dann einen weiteren typischen Song, den sie bereits Jahre zuvor stilähnlich serviert hatten. Hier kreuzten sich traditionelle Glam Rock Elemente mit der Sanftmut eines Frankie Miller. Wie eine typische Rock'n'Roll-Nummer aus den 50er oder 60er Jahren kam anschliessend das Stück "Love" daher. Der Titel wusste besonders durch die perlenden Klavierparts zu gefallen. Dass Michael Monroe auch 2005 nachwievor noch ein erstklassiger Sänger war, konnte er hier, aber auch bei allen anderen Titeln des Albums, eindrücklich unter Beweis stellen. "Talk To The Hand" hatte zwar einen süffigen Chorus, lebte aber vor allem vom Groove, der phasenweise an The Knack's "My Sharona" erinnerte. Die vielleicht hervorragendsten Stücke auf "Another Hostile Takeover" aber waren wohl sicherlich "Eternal Optimist" und ganz besonders "No Compromise, No Regrets". Gerade Letzteres dürfte zum Besten gehören, was Hanoi Rocks je gespielt haben. Hier schwang all der ganze Frohmut und die grosse Spielfreude mit, welche Hanoi Rocks seit Jahren schon ausgezeichnet hatten.

Bei allem Vorwärtsdrang verstanden es Hanoi Rocks aber auch immer wieder mit ungewöhnlichen Songs zu überraschen. Der "Reggae Rocker" war so ein stilistischer Ausreisser, der aber gleich darauf sofort wieder mit dem Rocker "You Make The Earth Move" weggeblasen wurde. Die Nummer "Better High" fiel wieder etwas gemütlicher aus und die Phil Lynott-Klamotte "Dear Miss Lonely Hearts" konnte auch in der Coverversion von Hanoi Rocks nichts von ihrem Charme verlieren. Die Ballade "Center Of My Universe" geriet herrlich schmalzig und orientierte sich stilistisch relativ stark an den Eagles. Einen gelungen Rausschmeisser hatten sich die Jungs dann schliesslich mit "Heaven Is Gonna Be Empty" aufbewahrt, der wie eine Mischung aus "Back In Yer Face" und "Love" klang und neben ein paar tollen Klavierspielereien auch eine ziemlich coole Gitarre in Szene setzte.


Den Interessierten, welche Hanoi Rocks noch entdecken mögen, würde ich zum Einstieg die sehr gute Zusammenstellung "Up Around The Bend - The Definitive Collection" aus dem Jahre 2004 empfehlen. Dazu das eingangs bereits erwähnte Comeback-Album "Twelve Shots On The Rocks" und natürlich "Another Hostile Takeover". Hanoi Rocks präsentierten hier ein Werk, das von vorne bis hinten so dermassen viel Spass macht, dass man es sich immer wieder auflegen mag. Und daher ist es meiner Ansicht nach eine unbedingte Kaufempfehlung an alle Fans des Genres. Während ja vor allem die Skandinavier einige neuere Glam Rock Bands wie Soulrelic oder Negative hervorgebracht haben, handelt es sich bei Hanoi Rocks quasi um ein klassisches Urgestein, an dem sich etliche jüngere Bands erstmal die Zähne ausbeissen werden. Hanoi Rocks sind einfach Kult.





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