THE MOTHERS OF INVENTION - Absolutely Free
(Verve Records V/V6-5013X, 1967)
"Absolutely Free" lautete der Titel des zweiten Albums von Frank Zappa und seinen Mothers Of Invention. Es erschien 1967 auf dem Verve Label und wurde dem Progressive Rock-Genre zugerechnet. Das Album geriet musikalisch wesentlich vielschichtiger als sein Vorgänger, das Debutalbum "Freak Out!", bot bis dahin ungehörte Klangexperimente und Collagen in Hülle und Fülle und übte ironisch und satirisch Kritik an politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Bei den Stücken auf "Absolutely Free" handelte es sich um Auszüge aus dem Rockmusical 'Pigs and Repugnant: Absolutely Free' (Schweine und Widerlinge: Völlig umsonst), welches The Mothers Of Invention etwa ein halbes Jahr lang mehrmals täglich im New Yorker Garrick Theatre aufführten. Verglichen mit dem Debütalbum "Freak Out!" war das musikalische Geschehen komplexer und auch beziehungsreicher. Nicht weniger als zehn der insgesamt 15 Titel enthielten Musikzitate.
Besonders häufig fanden sich Passagen aus Werken von Igor Stravinsky, und zwar aus dessen "Le sacre du printemps", "L’oiseau de feu" (aus der Feuervogel-Suite) und aus dem Ballet "Petrushka". Aus klassischen Gefilden stammte auch das Zitat aus "Jupiter: The Bringer Of Jollity" aus der Orchestersuite "Die Planeten" von Gustav Holst. Zeit seines Lebens besonders häufig, auf seinen Plattenveröffentlichungen insgesamt 22 Mal, zitierte Frank Zappa einen Rhythm'n'Blues-Klassiker aus den späten 50er Jahren: "Louie Louie" von Richard Berry & The Pharaohs. Weitere angespielte Rhythm'n'Blues- und Soulhits waren "Duke Of Earl" von Eugene Dixon alias Gene Chandler, "Baby Love" von The Supremes, "Little Sally Walker" von Don & Dewey oder auch "Little Deuce Coupe" von den De-Fenders. In "Soft-Sell Conclusion" griff das Sopransaxophon die Melodie von "God Bless America" auf, der Gesang stimmte "America The Beautiful" an und der Bass zitierte den Marsch "Marine’s Hymn". Weitere bekannte Melodien, die kurz aufgegriffen wurden, waren "Entry Of The Gladiators" von Julius Fučík sowie "White Christmas" von Irving Berlin, welches dieser für den Film 'Holiday Inn' geschrieben und das Bing Crosby im Jahre 1942 weltberühmt gemacht hatte.
Hinsichtlich der technischen Produktion wurde das Album mit einem Aufwand erstellt, der zur damaligen Zeit seinesgleichen suchte. Beispielsweise waren alleine für den atmosphärischen Hintergrund der Satire "America Drinks & Goes Home" vier verschiedene Ereignisebenen sorgfältig miteinander verschachtelt worden. Für seine Musikcollagen benutzte Frank Zappa intensiv Klangschnipsel, Geräuschexperimente, Gesprächsfetzen, Musikbruchstücke, Passagen mit den übereinander geschichteten Soli verschiedener Instrumente oder rhythmisch komplexe Strukturen, die er ironisch zusammenwob.
Auf der Textebene knüpfte das Album an das auf dem Vorgänger "Freak Out!" Gebotene an: Satirisch, ironisch und teils auch zynisch kommentierten die Mothers Of Invention den American Way of Life. Das Motiv des Plastiks als Symbol für die zunehmende Künstlichkeit im Technologiezeitalter und den Verlust der Natürlichkeit wurde mehrfach aufgegriffen. In "Uncle Bernies Farm" wurden die Vereinigten Staaten als Land charakterisiert, das von einem Plastik-Präsidenten und einem Plasik-Kongress regiert wurde. Im Stück "Plastic People" wurde zunächst auf Plastik-Schminke ('plastic goo', wörtlich Plastikschmiere) und Plastik Teenager am Sunset Boulevard verwiesen um schliesslich den Zuhörer direkt anzusprechen: "Go home and check yourself. You think we're talking about someone else" (Geh nach Hause und prüfe dich selber - Du glaubst wir sprechen über jemand anderen). Indirekt stellten damit die Mothers Of Invention bewusst ihre eigene Authentizität in Frage und weckten schliesslich Ängste, dass in der Plastikgesellschaft der Vereinigten Staaten keine wahre Liebe mehr möglich sei ("I know true love can never be. A product of plasticity").
"Absolutely Free" enthielt spätere Frank Zappa-, respektive Mothers Of Invention-Klassiker wie die Stücke "Plastic People", "Call Any Vegetable" oder das Minimusical "Brown Shoes Don’t Make It". Eine weitere Besonderheit: "Absolutely Free" erschien ohne Titelstück. Zappa hatte den Titel verärgert weggelassen, nachdem die Plattenfirma den Produktionsetat gegenüber dem Debütalbum halbiert hatte. Der US-amerikanische Musikjournalist Robert Christgau sah in "Absolutely Free" eine mässig amüsante Neuheiten-Schallplatte. Zwar lobte er echte Popmusiker, die die andere Seite betrachten würden, dennoch sei das Album viel zu offensichtlich in seiner Satire, mit Harmonien und Tempowechseln, die Yes und Jethro Tull ankünden. Im Urteil des Zappa-Biografen Barry Miles mischte sich Kritik und Lob. Wenn Frank Zappa im Song "Plastic People" Hippie-Demonstranten als Plastikmenschen brandmarkte, so hätten sich viele Fans gefragt, was Zappa denn jetzt schon wieder von ihnen wollte. Andererseits lobte Miles unter anderem das Stück "Brown Shoes Don’t Make It" als Meisterwerk, das Zappa in Höchstform zeige.
Der deutsche Journalist Volker Rebell hob die musikalische Komplexität des Albums, die Dichte seiner thematischen Gliederung, das umfassende Spektrum der zitierten Musikstile und die von Zappa weiter perfektionierte Technik der Musikcollage hervor. Rebell gab auch die Spannbreite damaliger Reaktionen auf die Liveshows der Mothers im Garrick Theatre am Beispiel zweier US-amerikanischer Medien wider. Einerseits habe ein (nicht genanntes) Blatt diese Auftritte, unter offenkundiger Bezugnahme auf das Lakehurst-Unglück, als grösste Ansammlung heisser Luft seit Hindenburgs Zeiten pauschal abgekanzelt. Andererseits sei die New York Post in ihrem Urteil weniger pauschal gewesen. Nach dem Aufzählen von Details aus der Show, miniberockte Nummerngirls, psychedelische Lightshows, reichlich Fäkalspässe und Brechmittel-Humor, Angriffe gegen Ronald Reagan, Parodien der Supremes, oberflächliche Kenntnis von Strawinsky, urteile der Rezensent: "Dessen ungeachtet sind die Musik und das Können der Musiker brillant bis grossartig-fantastisch". Aus Sicht des Sparifankal-Mitbegründers, Schriftstellers und Journalisten Carl-Ludwig Reichert bot das Album inhaltlich wenig Neues, auch wenn die Musik aufregend gespielt sei. Reichert schlussfolgerte, dass für Viele das Album "Absolutely Free" damals schon viel zu weit weg vom Underground gewesen sei.
Wie oft bei Alben von Frank Zappa und The Mothers Of Invention, weigerten sich die meisten amerikanischen Radiosender, Stücke von "Absolutely Free" zu spielen. Dennoch kletterte das Album in den US-Charts bis auf Position 41, was letztlich die zehntbeste Platzierung bedeutet, die je ein Album Frank Zappa's erreichte. Das Album hatte sich zu einem gefragten Sammlerobjekt entwickelt. Noch zu Zeiten der Vinyl-Schallplatten gab es mehrere offizielle Neuauflagen. Selbst Schwarzkopierer wollten von der Nachfrage profitieren und brachten die Erstveröffentlichung als Bootleg auf den Markt. Auch als CD wurde es - fast 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung - noch drei Mal herausgebracht.
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