THE NITS - In The Dutch Mountains (CBS Records 460071 1, 1987)
Die Nits (bis 1988: The Nits, der Artikel wurde offiziell abgelegt) sind eine Popband aus Amsterdam. Die Nits begannen 1974 als Gitarren-Pop-Band, wandten sich bald dem New Wave zu und kultivierten seitdem einen exzentrischen Stil, der Einflüsse von Minimal Music, Jazz und Independent Pop aufnahm. Der Name (Läuseeier, Nissen) galt als Anspielung auf einen anderen Bandnamen mit Insektenbezug, den der Beatles. Die Band wurde 1974 von Henk Hofstede, Michiel Peters, Alex Roelofs und Rob Kloet in Amsterdam gegründet. Bald wandten sie sich dem New Wave zu, spielten 1978 ihre erste Platte ein und beschlossen 1980, Profimusiker zu werden. In ihrer Frühzeit liess sich die Musik der Nits mit dem New Wave-Pop der Talking Heads oder der frühen XTC vergleichen. Henk Hofstede und Michiel Peters profilierten sich als eigenständige Songwriter, wobei gerade Hofstede bisweilen zu bizarren Experimenten neigte. Das Debütalbum "The Nits" sah die Band als nicht eigenständig und nicht gelungen an, bis heute wurde es daher konsequenterweise nicht offiziell als CD veröffentlicht.
Mit den folgenden Alben "Tent", "New Flat" und "Work" bildeten die Nits einen individuellen Stil heraus, der auch Einflüsse von Kraftwerk, den Beatles und klassischer Avantgarde verarbeitete. Hofstede fand seine persönliche Stimme, sein Timbre wurde häufig mit John Lennon und dem jungen Elvis Costello verglichen. Mit dem Album "Omsk" und dem Einstieg von Robert Jan Stips gelang ihnen ein entscheidender Durchbruch zu einem eigenständigen Klang. Auffallend war dabei der wachsende Einfluss bildender Kunst, sowohl in den Texten als auch in der Anlage mancher Songs. Manche Songs wie etwa "Jardin d'Hiver" wurden gleichsam zum Stillstand gebracht und wirkten wie Klangskulpturen. Die Klangpalette wurde durch das ausgefeilte Sound-Design von Robert Jan Stips erweitert. Stips vermied konventionelle Synthesizer-Routine zugunsten impressionistischer klanglicher Ausgestaltung der Musik. Von diesem Album stammte auch der in den heimatlichen Niederlanden grösste Singleerfolg mit "Nescio", das Platz 8 der Charts erreichen konnte. Nach dem Album "Adieu Sweet Bahnhof" stieg Michiel Peters aus und arbeitete fortan als Buchhalter. Hofstede war nun an - von wenigen Beiträgen von Stips abgesehen - der hauptsächliche Ideengeber der Songs, auch wenn die Credits ab diesem Zeitpunkt zumeist "Hostede, Stips und Kloet" als Urheber auswiesen. Das Album "In The Dutch Mountains" wurde ihr erfolgreichstes Studioalbum, der schwermütige Titelsong wurde europaweit ein Hit. Dazu trug auch das originelle, surrealistische Video bei, das die Band, sämtlich ausgebildete Künstler, selbst gedreht hatte. Die anschliessende Tournee führte die Nits bis nach Russland. Sie wurde auf dem Doppelalbum "Urk" dokumentiert, das 2006 mit einer zusätzlichen Live-DVD von einem Amsterdamer Konzert wiederveröffentlicht wurde.
So cool kann Bombast klingen, könnte man durchaus im ersten Moment den Eindruck haben, wenn man sich das Album "In The Dutch Mountains" auflegt. Auch laidbacke Klänge zu einer guten Flasche Rotwein, würde schon besser passen, wäre aber auch noch nicht hundertprozentig richtig. Aber trotzdem drängen sich diese beiden vagen Beschreibungen auf beim Hören, denn die Nits präsentierten sich auf "In The Dutch Mountains" vielseitig und waren mit ihrem Klang weit von den gängigen Mustern der kalten 80er Jahre entfernt. Man durfte den Titel des Albums auch durchaus wörtlich nehmen: Musikalisches Flachland war das hier ganz bestimmt nicht. "In The Dutch Mountains" war ein Album, das man immer wieder hören mochte, weil die Musik vollgepackt war mit eingängigen Melodien und erfreulich unprätentiösen Soli, und über allem thronte unbestritten Henk Hofstedes markante Stimme. Die Bandmitglieder waren perfekt aufeinander eingespielt, das hörte man, und dass dieses Album innerhalb weniger Tage eingespielt wurde, ohne jede Nachbearbeitung am Mischpult, das konnte man aus jeder gespielten Note heraushören. Am besten gerieten die Songs, in denen sich der Synthesizer zurückhielt und ungebremster Freude am Spiel den Vortritt liess. Dann bekamen die Ohren viele verwöhnende Klangskulpturen zu hören: Wave, Reggae und Ska liessen sich prima kombinieren, und gelegentlich zeigte der Pianist, dass ein Klavier im Stil von Bar-Jazz kein Gedudel sein muss (auch sonst hatte Robert Jan Stips einiges auf Lager). Daher klangen auch nur ganz wenige Songs ein wenig offensichtlich routiniert, wenngleich auch sie nicht ins Mittelmass abdrifteten.
Insgesamt hatte dieses Album jede Menge Abwechslung im Gepäck. Am bekanntesten war sicherlich der Titelsong, der ganz einfach aufgebaut war, eine leidenschaftliche Moll-Melodie präsentierte, und sich schnurgerade immer dem Sonnenuntergang entgegen schunkelte. Dieser Song besass eindeutig das gewisse Etwas, das alle Ohrwürmer einfach brauchen. Aber es kam noch besser, denn das Album hatte noch zahlreiche weitere Höhepunkte zu bieten. Das direkt anschliessende "J.O.S. Days" zum Beispiel, mit restlos überzeugendem Ska- und Reggae-Einschlag. Ein entspannter, zurückgelehnter Song mit einer Mundharmonika als Sahnehäubchen, oder noch deutlicher: Das zeitlos vor Spielfreude berstende Glanzlicht des ganzen Albums! Fast dieselbe Klasse hatte auch das naiv-fröhliche "Pelican & Penguin": Reggae goes Folk, und ausserdem konnte man hören, wie fein Rock nach Federvieh klingen kann, wenn's die Band kann. Der Longtrack der Platte mit dem Titel "Two Skaters" klang anfangs ein wenig zu harmoniebedürftig, aber gegen Ende sorgten perlende Gitarrenklänge für aufgedrehte Lautsprecher. "In a Play (das Mädchen im Pelz)" spielte nicht nur im Titel auf Velvet Underground an. Nach düsterem Intro drehten die Musiker hier mächtig auf. "Mountain Jan" war nur ein klein wenig schwächer; "One Eye Open" hingegen zum Zerreissen gespannt zwischen ultracool und Leidenschaft; in "Strangers Of The Night" desertierte Jazz in Richtung Ska und landete in erfreulich düsterem Underground; und mit "The Magic Of Lassie" bewiesen die Nits, dass sie auch astreinen unpolierten Rock'n'Roll spielen konnten.
Was die Niederländer hier aufgetischt hatten, war ein Album, welches sich durchaus mit Talk Talk's "Spirit Of Eden" vergleichen liess, nicht nur so aufwändig arrangiert, aber mit einer vergleichbaren Tiefe. "Two Skaters" dürfte in dieser Hinsicht der absolute Höhepunkt auf dem Werk sein: Dieser elegante und durchaus geheimnisvoll wirkende und toll arrangierte Titel ging am meisten in Richtung Talk Talk's "Spirit Of Eden", Marillion's "This Is 21th Century" oder auch Carptree's "Weakening Sound". Hier erinnerte der Gesang schon frappant an Al Stewart. "In The Dutch Mountains" war in der zweiten Hälfte der 80er Jahre durchaus ein Anti-Statement in punkto Soundarrangement: Hier wurden keine Synthesizer bis zum erbrechen in Szene gesetzt, auch keine digitalen Schlagrhythmen waren zu hören und als wäre das nicht schon gegen jeden Trend genug verzichteten die Nits auf diesem Album auch fast gänzlich auf stark verzerrte elektrische Gitarren, arrangierten ihre wunderbar perlenden Songs fast immer mit akustischen Wanderklampfen, was ihrem anspruchsvollen Sound letztlich immer noch das kleine Quentchen Lagerfeuerromantik bescherte. Trotz später nachlassendem kommerziellen Erfolg machten die Nits unverdrossen weiter hervorragende Musik.
Das nächste Album "Giant Normal Dwarf", in Triobesetzung eingespielt, zeichnete sich durch märchenhaft-surrealistische Texte und exzentrische Songs aus. Die Platte war als klingendes Märchenbuch für Hofstedes damals neugeborene Tochter gedacht. Hofstede und seine Lebensgefährtin, die Künstlerin Riemke Kuipers, gestalteten dazu ein aufwändiges Booklet. Danach folgte das Werk "Ting". Es zeichnete sich durch eine kammermusikalische Besetzung mit zwei Klavieren und Percussion aus. Auffälliges Klangelement waren die klingenden Steine des Schweizer Bildhauers Artur Schneiter, die auf mehreren Liedern zum Einsatz kamen. Nach der Ting-Tour ergriffen die Nits die Möglichkeit, mit einem Sinfonieorchester zu arbeiten. Stips komponierte "Hjuvi" für Nits und Orchester, das dreimal aufgeführt und als CD veröffentlicht wurde. Auf "Hjuvi" fanden sich Einflüsse von Minimal Music, György Ligeti, Edgar Varèse und George Gershwin. "dA dA dA" bedeutete eine Rückkehr zu kompakteren Popsongs. Nach dieser Platte stieg Robert Jan Stips aus der Band aus, um eine Solokarriere zu verfolgen. Mit wechselnden Musikern führten Hofstede und Kloet die Band fort und spielten die Alben "Alankomaat" (das finnische Wort für Niederlande, mit Unterstützung der samischen Volksmusikgruppe Angelit) und "Wool" ein. Für letzteres verliessen die Nits ihre langjährige Plattenfirma Sony Music (früher CBS Records), und veröffentlichten ihre folgenden Alben bei dem kleinen Label Play It Again Sam.
Zwischen 2002 und 2011 gastierte Henk Hofstede auf drei Alben des Schweizer Pianisten und Komponisten Simon Ho: "Before Sleep" (2002), "If" (2005, auch mit Michiel Peters), "Normal Sunday - Live" (2006) und "Spoon River Anthology" (2011, mit der Gesamtbesetzung der "Wool"-Zeit). Auf all diesen Werken, ausser bei "Before Sleep", gastierten auch die drei Sängerinnen von Värttinä aus Finnland. Hofstede brachte ausserdem regelmässig Solo-Alben heraus. Robert Jan Stips kehrte 2004 zur Veröffentlichung des Albums "1974" zur Band zurück. Im Herbst 2005 veröffentlichten die Nits das 19. Studioalbum "Les Nuits". Im Dezember 2006 tourte die Band mit Uriah Heep, eine Kombination, die von den Fans gleichermassen befremdet wie interessiert zur Kenntnis genommen wurde. "Doing The Dishes", ihr 20. Album, erschien im Januar 2008. Die Rückkehr zu Sony Music und die zugänglichen, gutgelaunten Songs brachten den Nits nach langer Zeit wieder mehr Medienpräsenz, was sich in positiven Kritiken, stärkerem Publikumsinteresse und letztlich sogar einer kurzzeitigen Platzierung in den niederländischen Top Ten niederschlug. Im Oktober 2009 veröffentlichten die Nits das Album "Strawberry Wood". Das Werk "Malpensa" (2012) entstand nicht nur im eigenen Studio De Werf, sondern neben dem Piemonter Castel Burio auch im Utrechter Kytopia in Zusammenarbeit mit dessen Eigner, dem Hip Hop-Musiker Colin Benders alias Kyteman.
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