Nov 19, 2017


KLAUS SCHULZE - Timewind (Brain Records BRAIN 1075, 1975)

Klaus Schulze war zunächst Schlagzeuger der Berliner Formation Psy Free mit Alex Conti. Bekannt wurde er jedoch als Schlagzeuger bei Tangerine Dream um Edgar Froese und wirkte an deren erstem Album "Electronic Meditation" mit. Inspiriert wurde Klaus Schulze unter anderem durch die Minimalisten Terry Riley und Steve Reich sowie den amerikanischen Komponisten Morton Subotnick und durch klassisch-romantische Musik (unter anderem Richard Wagner). Er gründete zusammen mit Manuel Göttsching und Hartmut Enke die Band Ash Ra Tempel, an deren gleichnamigem Debütalbum er beteiligt war. Dennoch verliess er die Band, da es kaum möglich war, mit dem damaligen elektronischen Equipment live aufzutreten. Er widmete sich von nun an der Komposition atmosphärischer Klangteppiche wie "Timewind", "Moondawn" oder "Mirage": Eine elektronische Winterlandschaft, mit denen er, zusammen mit Tangerine Dream, zu einem der einflussreichsten Wegbereiter der Berliner Schule wurde. Diese Machart zeichnet sich durchaus widersprüchlich einerseits durch für heutige Masstäbe (nach den Gewohnheiten der populären Musik) ungewöhnlich lange, von der kompositionstechnischen Seite aus eher simpel repetitiv hypnotisch angelegte, und andererseits durch schroffe, geräuschhafte, oder die Tonalität übersteigende Passagen aus. Besonders letztere gehen in ihrem künstlerischen Anspruch deutlich über populäre Musik hinaus in Richtung Kunstmusik und haben Schulze Anerkennung über die Grenzen der Szene hinaus eingebracht. Der lange anhaltende Markterfolg der Musik wäre somit überraschend, wenn nicht durch Technikbegeisterung, Soundeffekte oder durchgehenden Beat eine Kompensation für den Normalhörer erfolgen würde. Zu Anfang spielten die Musiker in Museen und bei Kunst-Events. 1971 entschied sich der Elektronikpionier, in Zukunft nicht mehr in Gruppen zu spielen und eigene Wege einzuschlagen.

Klaus Schulze war von den Diskussionen in den Gruppen, die oft länger andauerten als die Zeit, in der sie Musik machten, genervt, so der Musiker in einem Interview von 2004. Trotzdem arbeitete Schulze mit anderen Musikern zusammen, so etwa mit dem Cellisten Wolfgang Tiepold (Trancefer), oder einer Streichergruppe ('X'). Mit Harald Grosskopf am Schlagzeug schuf er mehrere Alben, darunter "Body Love Vol. 2". Im Jahre 1973 gab Schulze sein erstes Solokonzert. Für seine LP "Timewind" erhielt er 1975 den französischen 'Grand Prix International'. Eine ausgedehnte Tournee führte ihn im selben Jahr durch Deutschland und Italien. Das bei Brain Music veröffentlichte Album "Timewind" galt für viele als eines seiner absoluten Meisterwerke und überhaupt als ein Monument der innovativen elektronischen Musik insgesamt. Und als tatsächlich monumental erschien zunächst einmal die Unbeweglichkeit der beiden Longtracks,auf denen vordergründig nicht allzuviel passierte. Auf "Wahnfried 1883" wurde sogar auf rhythmische Unterstützung der ätherisch-sphärischen Klangwolken verzichtet,während es bei "Bayreuth Return" wenigstens noch feine Sequencermuster zu entdecken gab. Man hatte es hier mit Klanggebilden zu tun, die wabernd, wellengleich wandernd den Hörer einlullten und ungeordnet, improvisiert und recht konturlos wirkten; mehr Klanglandschaften als Musik im klassischen Sinne letztlich.

Dennoch blieb dem aufgeschlossenen Hörer eine gewisse Faszination nicht verborgen und mit der Zeit fielen die fein ziselierten Strukturen in diesen Klangskulpturen auf, die diese Musik von unbesorgt dahingespielten Soundexperimenten teils deutlich hörbar unterschied. In Diskussionen oder Abstimmungen darüber, welches Album von Klaus Schulze denn nun das grosse Meisterwerk wäre, landete "Timewind" praktisch immer in den obersten Rängen; für ein Album, das auf Spannungsaufbau, Eingängigkeit, Wiederholungen, vordergründige, sofort erfassbare klare Melodik, teilweise gänzlich auf Rhythmik verzichtete,sicherlich beachtlich. Klaus Schulze galt und gilt zurecht als ein Vorreiter und Visionär dieser Musikrichtung. Mit "Timewind" hatte er dafür einen massiven Grundstein gelegt. Die Musik lief recht gleichmässig, sich nur in Nuancen verändernd, dahin, es gab kein echtes Ende und keinen echten Anfang, die Musik war einfach da und schuf Stimmungslandschaften, die jeder mit der ihm eigenen Phantasie ausfüllen konnte, so, wie es von dem Künstler ja auch erwünscht war, wie er selbst einmal sagte.

Wer nun glaubt, das sei ja nun nicht schwer, einfach ein paar wunderschöne elektronische Sounds zu erzeugen, herumzuexperimentieren, ein paar Spuren zu überlagern, und dem Ganzen schliesslich eine elegante Form zu geben, der sollte sich derartige Musik einmal von fast allen Konkurrenten anhören. Das wirkt nämlich schnell langweilig, nichtssagend, öde, während bei Klaus Schulze recht schnell etwas einsetzt, das man schwer beschreiben kann. Vielleicht macht er es sich wirklich leichter, als manch anderer Musiker, lässt seinen Gefühlen einfach freien Lauf, verbindet das mit technischen Ideen, ohne gross vorher zu komponieren, improvisiert einfach. Aber das kann längst nicht jeder. Und am Ende zählt das Ergebnis. Irgendwo wurde einmal die Frage gestellt: Klaus Schulze, ein Genie oder ein Scharlatan ? Nun ja: zu Themen wie 'Was ist Kunst  und warum ?' oder 'Wann ist man ein Genie - und wer bestimmt einen dazu - mit welcher Legitimation ?' sind unzählige Bücher, Bestimmungen von Begriffen, philosophische Auslassungen über Jahrhunderte geschrieben worden. Mit Alben wie "Timewind" überliess Klaus Schulze dem Hörer die Entscheidung selbst.

Es folgten 1976 Konzerte mit der international besetzten Gruppe 'Go' in Paris und London. 1977 komponierte er die Filmmusik zum Pornofilm 'Body Love' von Regisseur Lasse Braun. Die gleichnamige Soundtrack-LP erreichte den 2. Platz in den Import-Charts des US-Magazins Billboard. Im Jahre 1978 gründete Klaus Schulze das Plattenlabel Innovative Communication und produzierte neben der Band Ideal unter anderem Robert Schroeder, DIN A Testbild, Lorry und Baffo Banfi. 1979 baute er ein zweites Studio und ein Video-Studio auf für Innovative Communication. Dann folgte eine zweimonatige Tour durch Europa mit dem Sänger Arthur Brown. 1980 gab Klaus Schulze das Eröffnungskonzert der Ars Electronica mit der Linzer Stahlsinfonie, die überwiegend negatives Presseecho fand. Hierbei baute er seine Musik auf live aus dem Linzer Stahlwerk der Voest-Alpine AG eingespielten Werksgeräuschen auf. Die LP "Dig It", das erste vollständig digital produzierte Album überhaupt, erschien im gleichen Jahr. "Dig It" wurde von der Fachzeitschrift Stereoplay 1981 als bestes Klaus Schulze-Album überhaupt sowie als Referenzaufnahme für moderne Synthesizer-Produktionen als LP des Monats gewertet. Schulze war damals der erste Besitzer des zu dieser Zeit revolutionären 'GDS/GDS-Synergy'-Computersystems von Crumar General Development System (GDS) und Digital Keyboard Inc., mit dem man verschiedene Tonspuren erstmals parallel aufnehmen konnte. Die Zeit der analogen Rollstuhl-Elektronik war damit endgültig vorbei.

1983 wurde das Plattenlabel Innovative Communication verkauft und im darauffolgenden Jahr das Plattenlabel INTEAM gegründet, auf dem noch 1984 Manuel Göttschings Album "E2-E4" in einer limitierten Pressung erschien. Im gleichen Jahr schrieb Klaus Schulze den Soundtrack für den Film 'Angst'. Ab 1986 setzte Schulze verstärkt auf den Einsatz von MIDI und Sampling. Ebenfalls 1986 erstellte Schulze einen Remix für Frankie Goes To Hollywood: "Watching the Wildlife". Auf der 12" wurde Schulze als Remixer dieses Projekts genannt. Später stellte sich heraus, dass er möglicherweise doch nicht für diesen Mix verantwortlich war. Klarheit darüber gibt es allerdings bis heute nicht. 1988 folgte eine Koproduktion mit der Popgruppe Alphaville. In Dresden gab Schulze 1989 ein Konzert vor 6800 Zuhörern, 1991 ein Konzert vor dem Kölner Dom und ein Konzert in der Londoner Royal Festival Hall. Ausserdem produzierte er in diesem Jahr seine letzte Vinyl-LP.

Schulze gab 1994 Solo-Konzerte in Lille, Paris und Rom (mit Standing Ovations in Paris, bevor er auch nur eine Note gespielt hatte). 1995 erfolgten Produktionen und Aufnahmen mit der Popgruppe SNAP!. 1996 gab Schulze ein Konzert in Derby, England; 1999 gab er Konzerte auf einem Jazz-Festival in Hamburg (gemeinsam mit Pete Namlook) und auf einem Techno- und Ambient-Festival in Köln. Im Jahre 2000 komponierte Klaus Schulze die Musik für die Millennium-Feier in Peking. 2001 entstand beim Klang Art-Festival in Osnabrück im Rahmen eines viel gelobten Live-Konzertes die Aufnahme Live at Klang Art, Teil 1 und 2. Im November 2003 gab Schulze in Polen ein Konzert gemeinsam mit dem Licht-Künstler Gert Hof. Schulze erhielt im Jahre 2004 die Rechte früherer Alben von den damaligen Labels zurück und veröffentlicht nun über einen Zeitraum von mehreren Jahren insgesamt 100 Alben als Deluxe-Editionen auf dem deutschen Label SPV neu. Unter anderem erschien auch "Dig It" im aufwändigen Remastering-Gewand neu, enthalten war auch eine DVD mit Aufnahmen der Linzer Stahlsinfonie von 1980 sowie ein zusätzliches, bislang unveröffentlichtes Stück von Klaus Schulze. Im Rahmen einer Deluxe Edition erscheinen ebenfalls einzelne CDs aus den Boxen der Contemporary Works-Serie. Im Oktober 2005 erschien, ebenfalls auf dem SPV-Label, das neue Studioalbum "Moonlake", das positiven Anklang unter Musikjournalisten fand.

Im Jahre 2006 war Schulze mehrmals in Filmausschnitten sowie als Interviewpartner in der sechsteiligen Serie Kraut und Rüben im WDR zu sehen. Am 17. März 2006 zeigte das WDR-Programm ein ausführliches Interview mit Schulze sowie Ausschnitte eines seltenen Konzertes im Rahmen einer ausführlichen Dokumentation über die Entstehung der bekannteren Richtungen der elektronischen Musik in Deutschland, in der auch andere Synthesizer-Pioniere wie Edgar Froese, Michael Rother, Mitglieder der Gruppen Kraftwerk, La Düsseldorf, Neu!, Cluster, Popol Vuh, der Rockmusiker Achim Reichel und andere zu Wort kommen. Diese Serie befasste sich mit der deutschen Rock- und Popgeschichte in den 70er Jahren. Für das Anfang 2008 erschienene Album "Sehnsucht" des Projektes Schiller steuerte Klaus Schulze das Stück "Zenit" bei. Ein Auszug von über zwölf Minuten Länge fand sich auf der CD; die komplette, 35 Minuten lange Fassung wurde auf der DVD sowie als Bonustitel des Albums "Sehnsucht live" veröffentlicht.

Im November 2007 nahm Klaus Schulze Kontakt mit der australischen Künstlerin Lisa Gerrard auf. Es entstand das Doppelalbum "Farscape", das Anfang Juli 2008 erschien. Aufgrund der guten Zusammenarbeit lud Schulze Gerrard dazu ein, am 18. Juli 2008 mit ihm im Rahmen eines Progressive Rock Festivals auf der Freilichtbühne Loreley aufzutreten; es war Schulzes erstes Konzert nach einer Pause von fünf Jahren. Ein Mitschnitt des Konzerts wurde unter dem Titel "Rheingold" als Doppel-CD sowie als DVD veröffentlicht. Im Rahmen der Abmischung der CD/DVD in Peter Gabriels Real World Studios traf Schulze auf den britischen Musiker und Produzenten Steven Wilson (Porcupine Tree); das informative Gespräch der beiden, geführt in Form eines gegenseitigen Interviews, war auf der Rheingold-DVD enthalten. Im November 2008 folgten weitere Konzerte von Schulze und Gerrard in Berlin und Warschau, welche im Juni 2009 als DVD und CD "Dziekuje Bardzo" erschienen.

Im März 2010 spielte Klaus Schulze zum ersten Mal in Japan. Von den vom Tokyo Wax Museum initiierten zwei Konzerten erschien im November die 2CD+DVD-Box "Big In Japan - Live In Tokyo 2010". Klaus Schulzes 'Big Moog' Modularsystem ist einer der legendären Synthesizer der 70er Jahre. Das aus den Händen von Florian Fricke stammende etwa 100 kg schwere System kaufte Klaus Schulze am 22. Dezember 1975 und war während der zweiten Hälfte der 70er Jahre bis zum Erscheinen des Albums "Dig It" Schulzes Hauptsynthesizer (vgl. Covertexte und Fotos von Konzerten). Dieser Moog-Modularsynthesizer III p mit Sequenzer-Ergänzung B besitzt auf einer Fläche von 1,16 Quadratmetern mehr als 100 Drehknöpfe, Schalter und Buchsen für Verbindungskabel. Durch das programmierbare Doepfer-Interface MCV 24 wurde das System weitgehend midifiziert. Das System war noch Anfang März 2005 für das Album "The Dark Side Of The Moog X" in vollem Einsatz. Am 23. März 2005 wurde es auf Ebay versteigert.





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