Nov 28, 2017


MICKEY JUPP - Long Distance Romancer (Chrysalis Records CHR 1261, 1979)

Rückblickend betrachtet war sich Mickey Jupp im Grunde immer selber im Weg, insbesondere, weil er etwas ganz entschieden ablehnte: Ein Star sein zu wollen. Diese Zurückhaltung, gepaart mit seinen enormen musikalischen Fähigkeiten, brachten ihn im Verlauf seiner Karriere stets einen grossen Schritt vorwärts und gleich darauf wieder zwei noch grössere Schritte zurück, sodass er letztlich ein ewiger Geheimtipp blieb, und zwar einer jener seltenen Sorte, die sich selbst für gar nicht so Geheimtipp-würdig halten, wie ihnen dies Musikkritiker und Fans attestieren. Mickey Jupp gehört eindeutig zu diesen stets sehr bescheiden gebliebenen Ausnahmetalenten. Der britische Songschreiber, am 6. März 1944 in Worthing, England geboren, spielt Gitarre und Piano. Seine erste Band The Black Diamonds gründete er bereits 1963, danach entstanden The Orioles, die eine Single veröffentlichten. Später gründete er zusammen mit dem später berühmten Rockgitarristen Robin Trower (Procol Harum und solo) die Formation The Jam. Im nächsten Anlauf gründete Mickey Jupp im Jahre 1969 seine bis heute vermutlich bekannteste Band Legend. Die Gruppe Legend veröffentlichte ihr erstes Album und zwei Singles, eine davon mit Unterstützung sämtlicher Musiker von Procol Harum. Album und Singles waren erfolglos und 2 Jahre später nahm er ein weiteres Album mit dem gleichen Titel in Angriff, das seinerzeit unbeachtet blieb und später als das sogenannte 'Red Boot' Album zur Sammlerrarität wurde. Nach einem dritten erfolglosen Album mit dem Titel "Moonshine" zog sich Legend zurück.

Mickey Jupp, der über sich und seine Vorstellung über das Musizieren einmal sagte "I never had a master plan, I was just a reasonably good musician earning a living, with no pretensions or desires to be a star" begann 1977 eine Solokarriere und hatte in den Folgejahren eine Reihe guter Rhythm & Blues-Platten eingespielt. Seine Songs wurden von Gary Brooker, Elkie Brooks, Joe Cocker, Dave Edmunds, Chris Farlowe, Dr. Feelgood, der Hamburg Blues Band, den Kursaal Flyers, Nick Lowe und vielen anderen gecovert. Mit Keith Reid als Manager und der Werbung von Stiff Records erzielte Mickey Jupp ab 1978 seine grössten Erfolge. In Deutschland konnte er seinen Durchbruch im Jahre 1979 vor allem mit seinem Auftritt im WDR-Rockpalast feiern. Das Konzert wurde als VHS-Video und später als Audio-CD und Video-DVD veröffentlicht. Der Erfolg in Deutschland gipfelte darin, dass die folgende LP "Oxford" 1980 nicht in Grossbritannien, sondern nur in Deutschland erschien. Erst die digitale Wiederveröffentlichung als CD 1997 kam auch auf der Insel heraus. Das 1983 erschienene Album "Shampoo, Haircut & Shave" wurde von Francis Rossi und Bernie Frost von Status Quo produziert. Mitte der 80er Jahre wurde es wieder etwas stiller um Mickey Jupp, obwohl er weiter kreativ blieb.

"Long Distance Romancer", Mickey Jupp's erste Veröffentlichung beim britischen Plattenlabel Chrysalis Records, folgte weitgehend dem Rezept seiner zuvor veröffentlichten LP "Juppanese", welche dem Musiker in kommerzieller Hinsicht den bislang breitesten Erfolg beschert hatte, allerdings mit einer entscheidenden Veränderung: Der Sound auf "Long Distance Romancer" war eher wieder im Rock'n'Roll verwurzelt, wohingegen sich diese Roots-Musik auf "Juppanese" lediglich auf eine LP-Seite beschränkte. Auch wehte im musikalischen Leben des Mickey Jupp ein regelrechter stilistischer Tornado in den Jahren zwischen seinem Engagement bei Stiff Records und dem Wechsel zu Chrysalis Records. Bei Stiff, jenem legendären Post Punk und Wave-Label aus England, waren oft sogenannte 'Package'-Konzerte angesagt. Das heisst, es spielten mehrere Bands miteinander und waren auch entsprechend gemeinsam unterwegs, was Mickey Jupp sehr missfiel. Schliesslich wurde einer dieser 'Package'-Reisen zusammen mit den Stiff-Künstlern Wreckless Eric, Jona Lewie, Rachel Sweet und Lene Lovich zum Streitpunkt mit dem Label. Mickey Jupp, ohnehin kein Fan von Flügen (und es waren im Rahmen dieser Tour auch Auftritte in den Vereinigten Staaten geplant), zog es stattdessen vor, Weihnachtseinkäufe für seine Familie zu tätigen. Auch eine Art, wenngleich eine sehr originelle (!), sich von seinem Plattenlabel zu trennen.

Dass Mickey Jupp danach bei Chrysalis Records unter Vertrag kam, hatte er vor allem Gary Brooker zu verdanken, einem überzeugten Fan von Mickey Jupp. Brooker hatte für sein Album "No More Fear Of Flying" Jupp's Stück "Switchboard Susan" gecovert und Chrysalis Records, zuvor Heimat so renommierter Rockbands wie etwa Ten Years After oder Jethro Tull, mithin stark im progressiven Rock verwurzelt, nahm den Rock'n'Roll-Musiker unter Vertrag, nachdem Jupp Demoaufnahmen zu "Long Distance Romancer" an Kevin Godley und Lol Creme (beide von 10cc) geschickt hatte. Jupp hatte seine Aufnahmen auch an Dave Edmunds geschickt, doch dieser hatte zu dem Zeitpunkt zu wenig Zeit, um sich um Mickey Jupp zu kümmern, da er selber gerade sehr erfolgreich als Solokünstler unterwegs war. So kam schliesslich eins zum anderen: Jupp wurde in der Zeit zwischen 1977 und 1984 vom Bluebeard Management betreut, einer Firma, die von Keith Reid geführt wurde. Reid, als ehemaliger Procol Harum-Musiker publizierte über seine Firma auch die Songs von Mickey Jupp. Der Albumtitel "Long Distance Romancer" ergab sich aus einer Textzeile des Songs "Switchboard Susan", welcher kurz zuvor - und noch vor der Veröffentlichung durch Muckey Jupp selbst - von Nick Lowe als Single herausgebracht worden war.

Mit kompetenter instrumentaler Mithilfe spielte Mickey Jupp dann das Album "Long Distance Romancer" ein: Kevin Godley und Lol Creme, die beiden 10cc-Musiker spielten ebenso mit wie der Roxy Music-Saxophonist Andy Mackay, sowie der ehemals bei den Vibrators aktive Punk-Bassist Gary Tibbs. Mickey Jupp war damals äusserst erstaunt darüber, für wie wenig Gage die Musiker für ihn spielten. Zufällig fand er heraus, dass die gesamte Produktion des Albums lediglich 28'000 englische Pfund gekostet hatte, wovon der erhebliche Teil der Kosten auf die Studiomiete und das Bandmaterial entfiel, weshalb er in einem späteren Interview einmal sagte, dass er durchaus imstande wäre, ein tolles Rock'n'Roll Album für nicht einmal 5'000 englische Pfund einzuspielen, das genauso gut klingen würde.

Diese Aussage deckte sich mit an anderer Stelle und früher geäusserten Meinungen des Musikers und Freunden aus seinem Umfeld, wonach die damaligen Demoaufnahmen wesentlich näher am authentischen Rock'n'Roll gewesen seien, und auch eigentlich im Sinne des Künstlers waren. Mit dem definitiven Mix der Platte konnte Mickey Jupp letztlich nicht viel anfangen. Die Platte war seiner Meinung nach klar zu überproduziert, was angesichts der Tatsache, dass Kevin Godley und Lol Creme erwiesenermassen sehr dem Perfektionismus zugetan waren und sind, auch nachvollziehbar scheint. Trotzdem war "Long Distance Romancer" natürlich eine wundervolle Platte, der einzig vielleicht der rauhe und bodenständige Sound des echten und unverfälschten Rock'n'Roll etwas fehlte. Kompositorisch jedenfalls war die Platte genauso gut wie jedes andere Album auch, das dieser tolle Sänger und Gitarrist veröffentlicht hat.

Viele Musikjournalisten und musizierende Kollegen haben Mickey Jupp im Laufe der Jahre Komplimente gemacht. Der New Musical Express nannte ihn einmal den weissen Chuck Berry, die Zeitschrift Sounds sah in ihm gar eine Rhythm'n'Blues-Legende. Was allerorten stets herausgestellt wurde, war Mickey Jupp's Ablehnung jeglicher musikalischer Entwicklungen. Er beharrte auf seinem urtypischen Stil von Blues und Rock'n'Roll, blieb bis zuletzt dem authentischen und oftmals archaisch gespielten Sound der 50er und 60er Jahre verpflichtet. Er rockte stets munter und unbekümmert drauflos, ohne jegliche Entwicklungen oder Kursänderungen in der Rockmusik seit 1968 zur Kenntnis zu nehmen. Stets aufs Neue beschwörte Jupp die zeitlosen Rock'n'Roll- und Rhythm'n'Blues-Geister, vertraute auf schlichte, sparsame Instrumentierung und einer direkten unmissverständlichen Gesangs-Akrobatik. Und obgleich sein Studio-Sound fast schon in fader Eintönigkeit zu erstarren drohte, war dies lediglich der ehrlichen und echten Musik geschuldet, wie sie von den Vorreitern und persönlichen Inspirationsquellen schon vor mehr als zwei Jahrzehnten vorgelegt worden waren.

Im Jahre 1982 sorgte der legendäre Blues-Produzent Mike Vernon (Chicken Shack, Fleetwood Mac) bei Jupp's Album "Some People Can't Dance" für eine deutliche Blues-Betonung, die zwischen leicht puertoricanischem Einschlag, Uptempo-Rockern, Rhythm'n'Blues und gekonntem Soul variiert wurde. Doch wie schon "Long Distance Romancer" und alle zuvor und danach veröffentlichten Alben zog nie eines seiner Werke einen grösseren Käuferkreis an. Mickey Jupp fand seinen Platz innerhalb der Rock Historie weniger als Schallplatten-Künstler; vielmehr gilt er bis heute als exzellenter Musiker und Komponist.

 





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