Nov 1, 2017


COUNTING CROWS - This Desert Life (DGC Records 069490415-1, 1999)

Wahrscheinlich blieb es bei den meisten Musikhörern beim Song "Mr. Jones", jenem Ohrwurm, mit dem die Counting Crows zu Mitte er 90er Jahre ihren grössten Hit schon vorzeitig feiern konnten. Leider haben sie aber nach dem brillianten Debutalbum "August And Everything After" eine Vielzahl hervorragender Alben veröffentlicht, von denen praktisch alle äusserst empfehlenwert sind. Natürlich genossen die Crows in den USA grosse Bekanntheit, und dort konnten sie auch etliche weitere Hits verbuchen. Bloss hierzulande kamen die wenigsten davon wirklich an. Ausser vielleicht "Colorblind", denn dieser Song aus dem Film 'Eiskalte Engel' war es, der die Fans auch hierzulande wieder in den Plattenläden trieb, um das dazugehörige Werk "This Desert Life" zu kaufen. Wer bei diesem Stück keine feuchten Augen bekam, wer sich bei den ersten perlenden Tönen des Klaviers nicht hemmungslos dem Liebeskummer ergab, wer bei den ersten klagenden Worten des grandiosen Sängers Adam Duritz nicht seufzend nach dem Kissen suchte, der war entweder glücklich verliebt oder von den Socken aufwärts tot.

So zerbrechlich und trotzdem hoffnungsvoll hatte in den vielen Jahren zuvor selten ein Song den Weg an meine Ohren gefunden. Doch es gab natürlich noch sehr viel mehr, weshalb ich mir diese Platte immer wieder auflegen wollte. Schliesslich hatten die Counting Crows den Weg aus der Dunkelheit geschafft, auch wenn sie gerne und immer wieder mit der Melancholie kokettierten, auch in späteren Jahren. Das Augenzwinkern, das bei diesem Werk allerdings aus ihrer Musik herausschaute, liess dies aber viel sympatischer, ja sogar teilweise fröhlich klingen. Nach ihrem eingangs erwähnten Debütalbum "August And Everything After", das mit "Round Here" und vor allem "Mr. Jones" veritable Hits abwarf, und dem eher traurig-schönen "Recovering The Satellites" ging dies durchaus als Überraschung durch. So zurückgelehnt und relaxed hatte man die Counting Crows eigentlich nicht erwartet.

Allerdings wurde der Zuhörer schon nach den ersten Tönen des Albums eines Besseren belehrt: Hier hatte nicht mehr das melancholische Momentum die Ueberhand, sondern das rustikale Americana-Feeling, ein durchaus positives Lebensgefühl verströmend und mitunter sehr sehr hölzern-gemütlich. Hier nahm sich eine Band spürbar zurück, besann sich auf ihre Tugenden und wollte nicht als Hochglanz-Pop Produkt in der Masse untergehen. Ein schepperndes Schlagzeug und eine verhalten knarzende Gitarre wiesen den Weg und dieser führte definitiv aufwärts. Das Folk-Feeling früherer Tage war zwar geblieben, der Country-Anteil ebenfalls immer noch vorhanden, wurde aber deutlich vom wiederentdeckten Rock'n'Roll-Gefühl überdeckt. Hier schien sich vor allem die Produktion von David Lowery (Cracker) und Dennis Herring ausgezahlt zu haben. Mit der Gruppe Cracker verband die Counting Crows aber nicht nur David Lowery, sondern auch ein ähnliches Verständnis von rootsnaher Musik, die dennoch keineswegs abgestanden oder anbiedernd und muffig klang.

Ganz getreu dem Titel des Albums "This Desert Life" waren hier die Stiefel schmutzig, die Musiker nahmen den Dreck von draussen mit ins Tonstudio. In all diesen Songs spürte man die Wärme und atmete den Staub der Wüste Arizonas. Im Grunde wirkte das gesamte Album wie eine einzige grosse und sehr entspannte Jam-Session. So waren beispielsweise immer wieder vereinzelte Zwischenrufe und einzelner Applaus eingeblendet worden, was dem Ganzen eine sehr gemütliche und persönliche Atmosphäre verpasste, ausserdem erinnerte auch der Klang an eine in einem rustikalen Wohnzimmer aufgebaute Kleinanlage mit Probenraum-Equipment, schweren schallschluckenden Teppichen am Boden und den guten alten Eierkartons an den Wänden. Man kann es eigentlich so formulieren: Sterilität war im Sound der Counting Crows absolut nicht zu hören und die Stimme von Adam Duritz klang hier so warm und ehrlich, als würde der brilliante Sänger direkt vor dem Zuhörer sein Herz öffnen.

Für eine gute Geschichte brauchte Duritz immer eine gewisse Stimmung, und wenn nötig überschritt das Lied auch immer wieder die fünf Minuten Lauflänge. Der Sänger hatte etwas mitzuteilen. Aber seine Geschichten waren spürbar munterer geworden. Statt sich seinem Leid und seinen unerfüllten Hoffnungen hinzugeben, sang er auf dem insgesamt sehr fröhlichen und unbeschwerten Album "This Desert Life"  lieber "Hey, I can bleed as anyone, but I need someone to help me sleep". Statt sich in Trauer und Depression zu ergehen, rotzte die Band schon auch einmal einen kernigen Rocker wie "Kid Things" herunter. Statt sich immer nur mit dem Ernst der Welt zu beschäftigen, wünschte sich Duritz ganz bescheiden auch mal "I Wish I Was A Girl". Die gewachsene Anzahl von relaxten Mid Tempo-Rockern, die die Erinnerung an ihren "Mr. Jones" aufleben liessen, taten der Platte und auch hörbar der Band richtig gut. Mit jedem Besenschlag und jedem Aufdrehen des Verstärkers hörte man das Vergnügen, das ihnen die Aufnahmen bereitet haben mussten. Aber die Counting Crows wären nicht sie selbst, wenn sie auf die Melancholie im 6/8-Takt verzichten könnten. Die Hymnen und das Leid waren eben doch noch da, wenn auch nicht mehr so aufdringlich.

Zum Schluss noch ein Tipp: Wer sich für die Counting Crows erwärmen möchte - und dies ganz bestimmt auch tun wird - der möge mit dem brillianten Stück "Mrs. Potter's Lullabye" anfangen. Wer sich dieses wundervolle Stück Musik erst einmal einverleibt hat, der greift automatisch zu diesem Album, und danach ganz intuitiv auch zu allen anderen Werken dieser Band, die ich persönlich zu den absolut Besten der 90er Jahre zähle.




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