AGITATION FREE - Malesch (Vertigo Records 6360 607, 1972)
Agitation Free gelten bis heute als eine der führenden Experimental Rock Bands Deutschlands. In den frühen 70er Jahren veröffentlichte die Gruppe drei hochinteressante Alben, die von ausufernden, oft unzusammenhängend wirkenden Improvisationen lebten. Die Musiker bedienten sich auf der anderen Seite aber zum Beispiel auch typischer, arabischer Klangformen, orientierten sich am experimentellen, frühen elektronischen Krautrock und experimentierten gleichzeitig mit ungewöhnlichen und innovativen visuellen Gerätschaften wie einem "Liquid Projector" und weiteren psychedelischen Konzerteffekten, dank welchen sich beispielweise auch die Auftritte der amerikanischen Jefferson Airplane oder Iron Butterfly zu einem visuelles Erleben der Musik erweiterten. Die Gruppe Agitation Free, bestehend aus Lutz Ulbrich (Gitarre, Sitar, Keyboards), Jörg Schwenke (Gitarre), Michael Hoenig (Synthesizer, Keyboards, Steel Gitarre), Peter Michael Hamel (Orgel), Michael Günther (Bass) und Burghard Rausch (Schlagzeug, Percussions, Marimba, Gesang) und hier auf diesem Werk zusätzlich mit dem Perkussionisten Uli Popp waren Krautrockpioniere aus Berlin, gingen 1972 auf eine ausgedehnte Tournee durch Griechenland, Zypern und den Nahen Osten. Die dort erlebten musikalischen Erfahrungen schlugen sich in ihrem ersten Album nieder, das im Anschluss an die Tournee aufgenommen wurde.
"Malesch", was auf ägyptisch etwa "macht nichts" bedeutet, ist eine interessante Mischung aus psychedelischen Rockimprovisationen, elektronischen Klangspielereien, jazzrockigen Passagen und einigen Ethno-Einflüssen. Letztere schlagen sich vor allem in den exotischen Rhythmen von Schlagzeug und Perkussion nieder und darin, dass die einzelnen Stücke jeweils durch kurze Tonbandschnipsel mit Klangimpressionen der Nahostreise eingeleitet respektive unterbrochen werden. "Malesch" ist ein sehr dichtes, abwechslungsreiches Album, mit recht psychedelischen Gitarrenklängen und majestätischen Keyboards, aber auch sehr rhythmischen, jazzigen Passagen. Das intensive Zusammenspiel der beiden Gitarristen zusammen mit Hoenigs Keyboards erzeugt oft eine sehr faszinierende, hypnotische Atmosphäre, etwa in den Stücken "Pulse" oder "Rücksturz", die ein bisschen an die Stimmung auf der Platte "Ummagumma" von Pink Floyd erinnert.
Die Platte beginnt sehr geheimnisvoll und mysteriös mit dem losen Stück "You Play For Us Today", wirkt ert einmal recht meditativ, steigert sich aber im Verlauf im Tempo und dem Rhythmus, wird eingerahmt von allerlei arabischen Klangeffekten und bleibt am Ende trotzdem mysteriös und nicht fassbar. Das ganze Stück schwebt buchstäblich in die Ohren des Zuhörers hinein. Ein prägnantes und sehr packendes arabisches Rhythmus-Arrangement generiert eine Soundcollage beim nachfolgenden "Sahara City", einem Stück, das als freie Improvisation im Verlauf immer konkreter und fassbarer wird und schliesslich beherzt rockt. Bis dahin ist schon fast eine Viertelstunde vergangen, ohne dass man dieses Gefühl beim anhören vermittelt bekommen würde. Die Musik von Agitation Free ist so spannend aufgebaut, dass diese beiden Tracks alleine schon über so viele verschiedene Eindrücke verfügen, dass man darüber die Zeit vollkommen vergisst. Für mich spricht das alleine schon für die hohe Qualität der Musik.
Ein fast verwunschen klingender Synthesizer schwebt anschliessend über einer von der Hammond Orgel dominierten Improvisation mit dem Titel "Ala Tul" auf den Weg, umrahmt von Marimba und anderen Perkussions-Instrumenten. Hier klingen Agitation Free arabisch und die Musiker bedienen sich auch entsprechend den in der arabischen Welt typischen Klangformen. Hat man dieses wundervolle flirrende Stück erlebt, hat man schon eine sehr interessante musikalische Kultur-Reise hinter sich gebracht.
Es folgt der Einstig in die zweite Plattenseite mit dem wiederum erst einmal sehr mysteriösen und abgehoben klingenden "Pulse", das auf einer dissonanten Synthesizer-Sequenz eine farbenprächtige Soundcollage aufbaut, die zusammen mit dem nachfolgenden "Khan El Khalili" auf meditativ-hypnotisch Art und Weise wiederum in ein arabisches Thema gleitet, das dank einem durch ein mit Echo-Effekten angereicherten Schlagzeug und schönen fremd und geheimnisvoll anmutenden Stimm-Schnipseln einen sehr laidbacken Psychedelik-Effekt erhält, der schliesslich nahtlos in das Titelstück "Malesch" übergeht. Diese Nummer bietet eine weitere, recht relaxte Psychedelic-Improvisation, die sich im Tempo langsam steigert und über eine Lauflänge von über 8 1/2 Minuten einem Mantra gleich dahingleitet. Der die Platte beendende "Rücksturz" kommt in seinen knapp 2 Minuten noch einmal mit einer Art progressivem Rockzipfel daher und schliesst das Album beeindruckend ab. Ein Album, das bis zum letzten Ton spannend und unabsehbar bleibt und sehr eindrücklich beweist, dass Improvisationen durchaus auch strukturiert klingen können, aber keinem vorgeplanten Konstrukt entsprechen müssen.
Das Interessante an "Malesch" ist die freie Verbindung zwischen westlicher Improvisation und arabischen Klangformen, die zusammen eine unglaublich spannende Mélange entwickeln. Erst viele Jahre später präsentierten sogenannte Weltmusiker ähnlich berauschende musikalische Kulturverschmelzungen. Doch da gab es die Gruppe Agitation Free längst nicht mehr. Nach einem weiteren Album 1973 für Vertigo Records ("2nd"), sowie dem 1976 nachgereichten dritten Werk "Last", das auf Barclay Records erschienen war, trat die Gruppe erst 1995 mit "Fragments" und 1998 mit einem neuen Album mit dem Titel "At The Cliffs Of The River Rhine" wieder in Erscheinung.
Der Geist der ursprünglichen Musik auf "Malesch" war da jedoch imemr noch unterschwellig vorhanden. "Malesch" war aber eindeutig das Meisterwerk dieser hervorragenden Gruppe, die es verstand, wogend psychedelische Gitarrenwände mit nordafrikanischer Perkussion und oft Mantra-gleich eingesetzten Synthesizerschleifen zu mischen und so den staunenden Hörer in exotische Klanglandschaften zu entführen, die sich auf vielfach majestätische Art vor dem inneren Auge entfalten. Man stellt fest, dass diese komplexen Arrangements zwar aus der Leichtigkeit aus Gruppenimprovisationen geboren, aber durch beständiges Spielen in seine hier zu hörende Form gereift und ausgeformt wurden. Hier paart sich die Lust am Experiment, wie sie typisch für die frühen Jahren des Krautrock war mit einem außergewöhnlichen technischen Können dieser Musiker, was wiederum nicht selbstverständlich war in dieser Zeit in Deutschland. Ein exzellentes Album, das nicht nur bei mir bis heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
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