MOM'S APPLE PIE - Mom's Apple Pie (Brown Bag Records BB-14200, 1972)
Es ist eine dieser irgendwie tragischen Geschichten in der Rockmusik. Aber im Falle von Mom's Apple Pie kommt dazu auch gleich noch eine denkwürdige Schrulligkeit. Und die liegt im Plattencover verborgen, dem Einzigen, was die meisten Musikfans von dieser Band heute vielleicht noch zu erzählen wissen. Das Cover zeigte nämlich einen Apfelkuchen mit eingebauter Muschi. Klar, dass das Cover kurze Zeit darauf von den amerikanischen Sittenwächtern verboten wurde. Der Künstler Nick Caruso, der das Coverbild malte, reagiete umgehend und bescherte der Band ein zweites, entschärftes Werk, nicht ohne Augenzwinkern. Denn nun wurden aus der Vagina im Kuchen Gefängnismauern mit Stacheldraht drumherum. Ironischerweise gilt heute die Plattenversion mit dem nachträglich "entschärften" Cover als gesuchter, warum auch immer. Einen Platz für die Ewigkeit in den Annalen der Rockgeschichte haben sich Mom's Apple Pie mit dieser Plattenhülle auf jeden Fall gesichert. Doch dieses zehnköpfige Unternehmen hat ja auch Musik gemacht. Und da darf man dann schon auch mal reinhören, denn die Platte ist bei weitem besser als ihr Ruf. Diese Art Brass Rock war nämlich so ungemein melodiös, dass Vergleiche etwa mit BLOOD, SWEAT & TEARS, die man immer wieder mal lesen kann, meiner Meinung nach zu kurz greifen. Vielmehr bot die Truppe eine Art melodiösen Brass-Poprock der Marke CHICAGO, gepaart mit der souligen Leichtfüssigkeit von RARE EARTH oder dem souligen Poprock der amerikanischen Band GYPSY.
Die zehnköpfige Band aus Warren, Ohio fällt aber vor allem durch den Leadgesang von Bob Fiorino auf. Der verfügt über eine sehr gute Stimme, moduliert gerne mit seinem Stimmorgan und verleiht so manchem eher trockenen, manchmal etwas bieder jazzig arrangierten Song eine sehr feine soulige Note, die den meisten Songs einen wohlklingenden Touch verleiht. Neben dem Sänger Bob Fiorino bestand die Gruppe Mom's Apple Pie aus den beiden Gitarristen Bob Miller und Joe Ahladis, dem Keyboarder Dave Mazzochi, dem zweiten Sänger Tony Gigliotti, der praktisch ausschliesslich in den mehrstimmigen Chören eingesetzt wurde, dem Bassisten Greg Yochman, dem Schlagzeuger Pat Aulizia und der dreiköpfigen Bläsergruppe, bestehend aus Roger Force (Saxophon und Flöte), Fred Marzulla (Trombone) und Bob Pinti (Trompete). Besonders Roger Force tritt auf dem Album sehr positiv in Erscheinung, da er bei dem einen odr anderen Song mit seinem Saxophon, an anderen Stellen auch mit seiner Querflöte, bemerkenswerte Akzente zu setzen wusste.
Die Platte startete mit einer Covernummer aus der Feder von Willlie Dixon: "I Just Wanna Make Love To You" - durchaus eine Ueberraschung, denn wenn im Intro zum Stück erst eine gewisse zeitlang schön soulig georgelt wird, dass man spontan an Rare Earth erinnert wird, nimmt das Stück später ziemlich rockig Fahrt auf und der Song führt den Zuhörer kontinuierlich in ein herzhaftes souliges Rock-Gemisch, das eigentlich nur dank der opulenten Bläsersätze irgendwie nach Brass-Rock klingt. Dies setzt sich fort im zweiten Titel "Lay Your Money Down", einem eigentlichen Rockstück, das aufgrund seiner dominanten Orgel-Melodie ein bisschen an frühe TITANIC oder auch an die Anfangstage von URIAH HEEP erinnert. Jedoch gilt auch hier: Mit zunehmendem Drive geht auch musikalisch wieder alles in Richtung Brass-Höhepunkt. Das lässt sich auf ganz vielen Stücken des Albums ausmachen. Das permanente Aufschaukeln der Bläsergruppe wirkt zeitweise wie der bewusst herbei-arrangierte jeweilige Höhepunkt bei vielen der Songs. Allerdings gibt es auf dem Album auch unspektakulärere Klänge zu hören, etwa in dem Stück "People", das schon recht nahe an den Pop-Elementen der Gruppe CHICAGO angelehnt ist. Dieses typische Element, das die Band CHICAGO geschickt einsetzen konnte, um vom bisweilen strengen Jazz-Rock der Anfangsjahre etwas an Pop-Melodieseligkeit einzustreuen, wird auch von Mom's Apple Pie sehr passgenau als Mittel zur Auflockerung in den Songs verwendet.
Die Gruppe veröffentlichte ausser diesem ersten Album auch noch eine zweite LP, die knapp ein Jahr später erschien ("Mom's Apple Pie II"). Ein drittes Album wurde ebenfalls noch eingespielt, jedoch 1974 nicht mehr veröffentlicht, bevor es im Jahre 2011 erstmalig als CD das Licht der Welt erblickte. Obwohl die Gruppe heute weitgehend vergessen ist, erinnern sich heute noch viele Musiksammler an das spezielle Plattencover ihres Debutalbums, das damals für echte Furore sorgte, weil es eine in den Kuchen eingearbeitete Vagina zeigte, die von den amerikanischen Sittenwächtern prompt verboten wurde. Das Album erschien daraufhin mit einer entschärften Cover-Variante erneut. Die Gruppe spielte zu jener Zeit aber durchaus in populären Hallen, wie beispielsweise im legendären Whiskey A-Go-Go in Los Angeles oder im Madison Square Garden. Dabei begleiteten sie unter anderem die Doobie Brothers oder auch mal David Bowie.
Alles in allem gehören auch Mom's Apple Pie zu den vergessenen Perlen der frühen 70er Jahre. Sie erregten letztlich mehr Aufmerksamkeit durch ihr Plattencover als durch ihre Musik, was zwar durchaus nachvollziehbar, aber auch sehr schade ist, denn musikalisch waren sie in ihren besten Momenten einigen anderen typischen Vertretern des sogenannten Brass-Rocks durchaus ebenbürtig.
Wirklich ein sehr geiles Cover. Traurig das mit der entschärften Version, die wohl auch die Dame auf dem Cover ärgerte, deswegen auch eine dicke Träne über ihre Wange kullert. Schöner Brass Rock, gefällt mir sehr gut. Wunderbare Musik.
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