MARTIN ORFORD - The Old Road (Giant Electric Pea Records GEPCD1037, 2008)
Martin Orford, langjähriger Keyboarder der britischen Progressive Rock Bands IQ und JADIS, hatte sich nicht nur von seinen Bands getrennt, sondern verabschiedete sich nach eigener Aussage mit seinem zweiten Soloalbum "The Old Road" auch endgültig vom Musikgeschäft. Die Gründe für diese Entscheidung waren wohl vielfältig und im Zusammenhang mit dieser Rezension eigentlich auch zweitrangig. Zu bedauern bleibt sie aber allemal. Das wunderschöne Werk "The Old Road" mit seinem geschmackvollen Cover-Artwork ist also als eine Art von musikalischem Vermächtnis zu betrachten, für das Martin Orford eine ganze Reihe von illustren Weggefährten ins Studio gebeten hatte. So kann man als Progressive-Rock-Fan hier ein Wiederhören mit John Wetton, Andy Edwards, Steve Thorne, Dave Oberlé, Nick D'Virgilio und John Mitchell feiern. "This is not a progressive rock album" behauptete der Künstler im CD-Booklet, und damit hatte er gar nicht mal so Unrecht, denn das Album war viel mehr als nur das. Es war natürlich in erster Linie schon dem Progressiven Rock zuzuschreiben, aber es war aufgrund seiner Vielfältigkeit insbesondere auch ein schönes Melodic Rock- und Classic Rock-Album. Ganz viel 70er-Jahre Feeling hört man in dem Werk, und das dürfte letztlich auch viele er eigenen musikalischen Einflüsse beinhalten, von denen Martin Orford sich stets hat inspirieren lassen, schon zu Zeiten seiner Bands IQ und Jadis.
So erinnert der Beginn des ansonsten recht progressiven Auftakt-Songs "Grand Designs" an die ersten Gitarrentöne des 76er QUEEN Albums "A Day At The Races", und das zweite Drittel der letzten, ansonsten sehr melancholischen Nummer "Endgame" rockt los wie die Melodic Rock Klassiker BOSTON in ihren Anfangszeiten. Überhaupt wird man immer wieder an all die grossen Bands erinnert: Genesis, Marillion, Kansas, Asia, Yes, Rush, Jethro Tull: Viele Inspirationen standen hier musikalisch Pate, und trotzdem ist es kein Plagiat, sondern eher eine würdevolle Verneigung vor diesen grossen Bands und Musikern der 70er Jahre. Das phantastische Titelstück "The Old Road" (natürlich mit einem "Prelude", also einer klassischen Einleitung versehen) ist ein Musterbeispiel für die Qualität dieser Scheibe: virtuos, abwechslungsreich und von ungeheurer melodischer Raffinesse. "Ray Of Hope" (mein persönliches Lieblingsstück der Platte) und "Endgame" verbreiten akustisches Wohlbehagen mit Gänsehautfaktor. "Grand Designs", "Power And Speed" und "Out In The Darkness"" pendeln zwischen purem Progressive Rock und Classic Rock. In "Take It To The Sun" und "The Time And The Season" wird von Leadsänger John Wetton vordemonstriert, wie die Band ASIA heutzutage auch klingen könnte.
Eigentlich sofort, aber spätestens nach dem dritten Hördurchgang wird einem klar, was alles drin und dran ist an diesem Album. Und dann kann man langsam beginnen, sich auch auf die fabulösen Texte zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die geradezu gnadenlose Abrechnung mit allen Religionen und der Institution Kirche in "Out In The Darkness". Oder die weitgehend aussichtslose Hoffnung auf die Besinnung auf alte, aber keinsefalls altmodische Werte in "The Old Road" und anderen Songs. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Mühe sich der sich als träumerischer Melancholiker entpuppende Martin Orford mit den Texten für dieses Album gemacht hat. Aber wahrscheinlich floss das alles nur so aus ihm heraus, weil es einfach raus musste. "The Old Road" gehört zum Besten, was man in 2008 seiner Plattensammlung hinzufügen durfte. Wahrlich ein Vermächtnis, dessen Bedeutung erst mit einigen Jahren Abstand sicht- und hörbar wird..
Die Musik wirkt zeitlos und sehr elegant, ausgeklügelt und trotzdem von perfekter Harmonie durchzogen - ein Werk des sogenannten Schönklangs, das bei allem musikalischen Anspruch immer unterhaltsam und sehr eingängig bleibt. Attribute, die im klassischen Progressive Rock nicht wirklich an erster Stelle stehen. Aber wie bereits erwähnt, deckt "The Old Road" ein weites musikalisches Feld ab, und wer grundsätzlich Freude an der Rockmusik der 70er Jahre hat, zumal der melodiösen, der wird bestimmt auch dieses tolle Album für sich entdecken können. Es lädt zum nachdenken ebenso ein wie zum träumen, zum sich zurücklehnen und die Seele baumeln lassen. Spannend entspannend und grossartig gespielte Musik ohne jegliches Verfallsdatum.
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