Jul 21, 2016


THE DEVLINS - Drift (Capitol Records CDP 0777 7 80622 2 6, 1993)

Im Jahr 1993 hörte ich den Song "Someone To Talk To" zum allerersten Mal auf einem CD Sampler, den ich billig gekauft hatte. Ich war sofort Feuer und Flamme, einerseits für die Stimme von Colin Devlin, andererseits aber auch für den leicht mystischen und wundervollen Klang der Aufnahme, für die ein gewisser Malcomb Burn verantwortlich zeichnete. Kurz darauf kaufte ich mir das Album "Drift" der Devlins. Bestimmt ist Euch das auch schon passiert: Ihr legt eine neue Platte auf, spielt sie ab und denkt nur: Wow! Ein zweiter Durchlauf reicht, und ihr seid hoffnungslos verzaubert von dem Gehörten. Das passierte mir damals auch bei diesem Werk, das ich noch heute zu den schönsten elegischen Folkrock-Kleinodien zähle, die in Jahrzehnten mein Gehör erreicht haben. Das gesamte Album ist absolut brilliant produziert, grandios durchkomponiert und sehr atmosphärisch arrangiert. Die Titel variieren insgesamt nur leicht, wodurch sich sofort ein konstanter roter Faden durch das gesamte Album zieht, und trotzdem klingen alle Songs darauf eigenständig und in sich abgeschlossen. Sowas höre ich sehr selten, vielleicht einmal in fünf Jahren. Es war mir damals eigentlich schon ziemlich schnell klar, dass ich mir dieses Album noch in vielen Jahren genüsslich anhören würde, und so ist das bis heute geblieben. Mit jedem erneuten Anhören kann ich wieder eintauchen in eine immer leicht geheimnisvolle und mystisch/magisch erscheinende Welt des Wohlklangs, in welcher traumhaft fluffige Melodien teils über so dezent groovige Rhythmik gelegt sind, dass nur gerade die Füsse zu wippen beginnen, aber mit einem kolossalen Kribbeln in den Zehenspitzen.

Womit lässt sich dieser magisch erscheinende Sound der Devlins vergleichen ? Mir fallen spontan etwa David Gray ein, auch die Dave Matthews Band oder Rufus Wainwright. Was die Devlins in erster Linie auszeichnet, ist das exzellente Songwriting und das geschickte Händchen für deren instrumentaler Umsetzung. Wie durch einen unsichtbaren Schleier tragen diese Songs Dich weg, unmerklich erst, dann immer stärker, gerät man in den Bann dieser luftigleichten Preziosien, die manchmal fast kammerpopartig daherkommen, sich aber schnell zu einer verzaubernden Wolke entwickeln und nicht selten in einem Platzregen explodieren. Zu Boden fallen dann allerdings nicht Regentropfen, sondern sehr oft Tränen der Freude, andererseits aber auch Tränen der Enttäuschung: Die Liebe mit all ihren Schattierungen ist stets der zentrale Ausgangspunkt in den Songs der Devlins. Mal freudig verliebt, mal traurig mit gebrochenem Herzen. Was das Schöne an den Songs der Devlins ist: Man kann diese Gefühle nachvollziehen, kann sich selbst darin erkennen und seine eigenen Gefühle in vergleichbaren Situationen nachleben, es klingt alles so sehr vertraut. Diese herrliche Musik kommt ganz nahe an Dein Herz heran.

"Alone In The Dark" ist, aus meiner Sicht, einer der attraktivsten und sinnlichsten Songs, die je geschrieben wurden. Es ist ein Lied, das perfekt auf den Soundtrack zu einem romantischen Film passen würde:

I feel the storm, but it’s so strange
To feel desire without the pain
And I feel your eyes search my soul
For sometime sacred, for something more than you need

Your words are lost, but there’s no aim
It’s pure emotion that holds this flame
And the rain will fall and touch your heart
It’s pure devotion, alone in the dark

So tell me what you feel
Tell me every little thing
Tell me all that you are now
And tell me what it’s like to see
From your own heart
Now I’ve got you…alone in the dark

Colin und Peter Devlin aus Dublin Irland wurden anfänglich sehr oft mit U2 verglichen, denn ihre ätherischen Songs erinnern zeitweise an die frühen Songs von Bono und seiner Truppe. Allerdings kann man pauschalisierend nicht von typischem irischem Folkrock sprechen, für den U2 in der Folge standen und sich per se dann auch weiterentwickelten. Die Stücke der Devlins klingen letztlich eher wie eine Art U2 im Frühstadium, aus welchem U2 ganz bewusst nicht herauskommen wollten. Oder anders gesagt: Die Devlin-Brüder blieben ihrer Heimat näher als es U2 schliesslich waren. Sie blieben an den steilen Küstenfelsen stehen, schauten länger sehnsuchtsvoll in die Ferne, suchten nicht die Weiterentwicklung, sondern blieben verwurzelt und blieben sich selber treu. Das ist es, was letztlich auch ihre Musik so erlebbar macht: Hier versucht sich keine Band im Abwechslungsreichtum, in der Innovation: Hier öffnen zwei Brüder ihr Herz und lassen es einfach offen - Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre. Und dies auf irgendwie provinzielle Art und Weise. Grosse Gefühle, ausgedrückt im Kleinen, Vertrauten, nach Heimat Riechenden.

Colin Devlin's manchmal flehend-flüsternde Stimme, in der sich die ganze Energie der Stille entlädt, dieses reduzierte Schreien, das nur im Text, aber nicht in der Performance wahrgenommen werden kann, also dieses innere Explodieren, hört man aus jedem gesungenen Wort, aus jeder Textzeile und in jedem Refrain, der manchmal dermassen zynisch lieblich daherkommt, dass es einen innerlich wirklich zerreissen kann. Sei dies im Song "Drift", der dem Album den Namen gab, oder im Opener "I Knew That", der mit vermeintlich lockerem Groove und einer nicht zu erwartenden Brachialgitarre die Stille sehr schnell durchbricht und den Abgrund der Gefühle aufreisst. Demselben Muster folgt auch "As Far As You Can Go". Auch hier, wie in den meisten Songs der Dvlins, sagt schon der Name des Songs, wohin die Reise der Gefühle geht. Wie weit kannst Du gehen ? Wie sehr willst Du mir Schmerz zufügen ? Wieviel muss mein kleines Herz bereitsein zu stemmen ? 

Am allerschönsten lassen die Devlins ihren ganz eigenen stillen Hurricane im Song "Almost Made You Smile" toben, wenn sie mit herzerweichendem Jingle-Jangle und dem Himmel voller Mandolinen und akustischen Gitarren einen Rock anreichern, der am Ende weder hart, noch herzlich klingt, sondern in seiner gesamten Emotionalität brachial entspannend wirkt: Diese leise Explosion, die glücklich macht, die extrem intensiv erlebbar ist und die einem mit dem Ausklingen des Songs sprachlos zurücklässt. Das fühlt sich etwa so an, als würde man etwas mit seiner Hand ganz fest bis zum Muskelkrampf umklammern, und dabei trotzdem nur dieses leise Kribbeln in den Fingern spüren. Auf eine ähnliche Weise, aber wesentlich gedämpfter, wirkt der Song "I Don't Want To Be Like This": Diese fast bedrohlich wirkende stille Schönheit habe ich zuletzt auf den Spätwerken der Gruppe Talk Talk hören können, etwa auf deren Album "Spirit Of Eden".

Die Devlins veröffentlichten nach diesem grossartigen Werk noch drei weitere Platten, von denen der direkte Nachfolger "Waiting" aus dem Jahre 1997 sicherlich die beste wurde. Sie wirkte in sich nicht mehr ganz so homogen wie der Erstling "Drift", war besonders von der Aufnahmequalität her wesentlich kommerzieller ausgerichtet und dementsprechend glattgestrichener, ohne die rauhen und herzhaften Elemente des Debutalbums, bot aber mit dem Titelstück oder den Songs "Heaven's Wall", "Disappear", "Surrender" und "World Outside" eine zeitlose Platte, die genauso nicht gealtert hat wie das Debut "Drift". Mit "Consent"(2002) und "Waves" (2004) folgten dann etwas verzögert noch zwei weitere Alben, die jedoch nicht mehr den Glanz der beiden ersten Platten aufwiesen. Ggut waren sie aber allemal, denn das perfekte Songwriting blieb auch bei den nachfolgenden Alben auf konstant hohem Niveau.

"Drift" ist definitiv ein Album für die einsame Insel.





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