JOHN & YOKO / PLASTIC ONO BAND
WITH ELEPHANT'S MEMORY AND INVISIBLE STRINGS
Some Time In New York City (Apple Records PCS 716, 1972)
Als Musik auch schon nach kommerziellen Gesichtspunkten erstellt wurde, aber lange vor am Fliessband produzierten umstrittenen Casting Shows, ragte dieses Album eines bekannten britisch-japanischen Künstlerpaares wie ein Fels aus dem Meer der weitreichenden Bedeutungslosigkeit heraus und verschaffte auf rohe und scheinbar kaum geschliffene Weise Einblick in politische und gesellschaftliche Themen, deren Bearbeitung ihnen anscheinend auf den Nägeln brannte. So aktuell wie eine Tageszeitung (nicht von ungefähr sieht das Cover aus wie eine) werden Ungerechtigkeiten, Brutalität und Missstände unverschnörkelt und direkt ins Mikrophon diktiert, dazu passend der raue Rock'n'Roll, der mit Hilfe der Band Elephant's Memory und Phil Spector's Griffen in die Trickkiste wuchtig und ruppig herüberkommt. Dennoch schälen sich meist eingängige und hübsche Melodien, gepaart mit intelligenten Arrangements heraus, die erkennen lassen, dass John Lennon eben doch ein ganz Grosser unter den Musikern war. Kein Album zum Bügeln und Abwaschen, sind die Themen auch 44 Jahre danach meist noch erschreckend aktuell. Kompliment für den Mut John Lennons, sich ohne Rücksicht auf seine prekäre Situation (Beobachtung durch das FBI) zu äussern.
Am 16. Dezember 1972 wurde das Doppel-Album "Some Time in New York City" veröffentlicht. John und Yoko Ono waren zu Beginn des Jahres endgültig in die USA übergesiedelt. Dem neuen Umfeld von politisch engagierten Musikern und Schriftstellern geschuldet, fiel dieses Album denn auch weit politischer aus als sein erfolgreicher Vorgänger "Imagine". Einmal mehr liess sich John Lennon von seiner Umgebung beeinflussen und gab diese Inspirationen in teils unreflektierter Form in den neuen Liedern wieder. Auffällig sind dabei die starken Attacken gegen seine englischen Landsleute.
Die erste LP des originalen Doppel-Albums bot Studioaufnahmen, die zweite Live-Performances. Bei den Studioaufnahmen spielten neben der "Plastic Ono Band" auch die Underground-Band "Elephant's Memory" mit. Die Live-Platte bietet Aufnahmen der Songs "Cold Turkey" und "Don't Worry Kyoko", bereits aufgenommen am 15.Juni1969 im Londoner Lyceum. Als Musiker beteiligt waren unter anderem Eric Clapton, George Harrison, Billy Preston, Klaus Voormann, Keith Moon und viele weitere. Diese beiden Songs sind ein interessantes Zeitzeugnis von dem, was damals in Rockkonzerten möglich war. Seinen sehr persönlichen Song über Drogenkonsum "Cold Turkey" bringt Lennon in einer ziemlich ausufernden Fassung. Im Falle von "Don't Worry Kyoko" zeigt uns Frau Ono, was sie unter ihrer polarisierenden Avantgarde-Kunst versteht: Schiefe Töne, unkontrolliertes Ausbrechen der Stimme, unbelastet von Rhythmus, Tonlagen oder Stimmung der Lieder. Neben den unspektakulären Songs von John Lennon stehen Yoko Ono's wilden Ausbrüche entweder für verschreckenden Dadaismus, oder schlicht für unhörbaren Unfug, das bleibt dem Hörer überlassen. Ich persönlich mochte Yoko Ono's Art immer schon. Sie steht bis heute einzig in der Musiklandschaft. Seite Vier des ursprünglichen Albums war einem aus 4 Songs bestehenden Live-Auftritt der Plastic Ono Band mit Frank Zappa und den Mothers Of Inventions vorbehalten. Die Lieder bestechen durch inspiriertes Zusammenspiel der Musiker.
Zu den einzelnen Stücken auf diesem Doppelalbum möchte ich noch anmerken, dass Yoko Ono hier wirklich das beste ablieferte, was sie je zu den Alben ihres Gatten beigesteuert hatte. Bereits beim grandiosen Opener mit dem ungewöhnlichen Titel "Woman Is The Nigger Of The World" startet das Album mit einem der wohl unterbewertetesten Lennon Songs in seinem gesamten Schaffenswerk, dicht gefolgt von "Sisters, O Sisters", dem wohl besten Yoko Ono-Titel auf jedem von John's Alben. Die nächsten beiden Tracks, "Attica State" (John) und das ruhige "Born In A Prison" (Yoko) fallen da leicht ab, zerstören jedoch nicht die extrem dichte Atmosphäre, die sich, nicht zuletzt durch die durchweg grandiosen Texte mit viel Hintergrund, durch das gesamte Album zieht, sodass sie durchaus legitim sind und dem Gesamtwerk auch die nötige Vielschichtigkeit geben.
Mit "New York City" (John) folgt ein äusserst gelungener, sehr straighter Rock'n'Roll Song, der wirklich grossen Spass macht, gefolgt vom düstereren, aber durchaus stimmigen "Sunday Bloody Sunday" (hauptsächlich John). Gerade Letzterer reflektiert den in die Geschichte eingegangenen "Blutigen Sonntag", den irischen "Domhnach na Fola", der am 30. Januar 1972 die ganze Welt erschütterte. An diesem Tag wurden in der nordirischen Stadt Derry bei einer Demonstration für Bürgerrechte und gegen die Internment-Politik der britischen Regierung unter Edward Heath 13 Menschen von Soldaten des britischen Parachute Regiment erschossen und 13 weitere angeschossen. Da die Opfer unbewaffnet waren, führte das Ereignis zur Eskalation des Nordirlandkonflikts. Erst spät nahm die britische Regierung Stellung zu dem Ereignis: Am 15. Juni 2010 bat der britische Premierminister David Cameron im Namen der Regierung um Verzeihung für die Taten der britischen Soldaten.
"The Luck of the Irish" kommt dagegen wieder etwas ruhiger mit toller Melodie daher, die jedoch an einigen, wenigen Stellen von Yoko's exaltierter Stimme konterkariert wird, bis mit "John Sinclair" wieder ein purer John-Song folgt. Hier geht es wieder deutlich energiegeladener zur Sache, vor allem das tolle Spiel der Slide-Gitarre und der überraschende, Breakdown-ähnliche Chor machen dieses Song wohl zusammen mit dem Opener "Woman Is The Nigger Of The World" zum Höhepunkt des Albums. "Angela" ist ein Song, der hauptsächlich von Yoko getragen wird, jedoch durch einen tollen Chorus von John veredelt wird. Der Titel ist der damaligen Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA, der Bürgerrechtlerin Angela Davis gewidmet. Mit dem ausufernden "We're All Water" findet das Album sein energisches Finale. Es ist treibend, hat einen tollen Text und ist tatsächlich grandios, obwohl durchweg von Yoko Ono gesungen. Für mich der eindeutigste Beweis auf diesem Album, dass Yoko auch wirklich singen kann und nur den perfekt auf ihre Personality zugeschnittenen Song braucht, um dies auch eindrücklich beweisen zu können.
Alles in allem ist das Album mindestens so gut wie unterbewertet. Ein absolutes Muss für jeden John Lennon-Fan. Musikhörer, die nur einige seiner grössten Hits hören möchten, sollten jedoch eher zu "Imagine" oder "Double Fantasy" greifen, obwohl ich "Some Time In New York City" hinsichtlich der Atmosphäre und der ganz speziellen Magie, für die nicht zuletzt auch Yoko Ono entscheidend mitverantwortlich zeichnet, Lennon's sogenannten "Kommerz"-Alben unbedingt den Vorrang gebe.
Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Album nach Erscheinen von der Kritik überwiegend schlecht besprochen. Es konnte in keinster Weise an Lennons Meisterwerk "Imagine" anknüpfen. Die Verkäufe waren ebenfalls nur mässig. Auch heute stellt das Album mehr einen interessanten Abschnitt im musikalischen Schaffen von John Lennon dar, unter einem rundum geglückten Album stellte man sich damals wie heute sicherlich etwas anderes vor. Doch nach was für Kriterien ? Mir persönlich gefällt diese krude Mixtur aus grenzwertigem Jammen und politisch angreiferischen musikalischen Pamphleten extrem gut. Hier soll meinem Empfinden nach die Musik fast als Träger wichtiger Botschaften herhalten, meiner Meinung nach ein absolut legitimes Mittel für einen Künstler, sich auszudrücken.
"Some Time In New York City" ist aus seiner damaligen Bedeutung heraus so etwas wie das "verlorene" Album im Werk eines Mannes, den sein früher Tod und das Wirken einer mehr als rührigen Nachlassverwalterin in den Stand eines Halbgottes entrückt hat.
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