Jul 17, 2016


SUPER FURRY ANIMALS - Phantom Power (Epic Records 512375 1, 2003)


Als dreiseitig bespieltes Doppelalbum kam diese wundervolle musikalische Symbiose aus der Ambient Music entlehnten Elementen, verwoben mit klassischem britischem Pop und folkig-fluffigen Psychedelik-Momenten zu einer überschäumenden Kreativ-Mixtur auf den Markt. Einem Markt, der in den frühen 00-er Jahren geprägt war von einer grossen Aufbruchstimmung. Etwaige künstlerisch als undurchdringbar geltende Mauern wurden kurzerhand eingerissen, man wählte als Künstler den Weg des grössten Widerstandes, setzte sich über die eigenen Grenzen hinweg und kommerzieller Anspruch wurde als zweitrangig angesehen. Schon vorher zeichnete sich ab, dass in der Flut der Neuerscheinungen etliche absolute künstlerische Perlen sang- und klanglos in der Masse versanken; Beispiele hierfür gab es unzählige.

Das führte bei vielen Musikern zu einem Umdenken, aber auch bei den Plattenfirmen, die sich über teils dramatisch abnehmende Verkaufszahlen erschreckten. Plötzlich wurde Kreativität wieder gross geschrieben, man gewährte den Künstlern grössere Freiheit beim Umsetzen ihrer manchmal aussergewöhnlichen Ideen und versuchte, künstlerischen Anspruch anstelle von kommerziellem Denken bei vielen Produkten in den Vordergrund zu stellen. Ein Massenpublikum liess sich hierdurch natürlich nicht finden, doch entwickelte sich der sogenannte Independent Bereich zu einer immer stärker werdenden Kraft neben dem rein kommerziellen Musikgeschäft, sodass doch einige herausragende Künstler plötzlich auch wahrgenommen wurden und ordentlich für Konzerte gebucht wurden.

Dass die Super Furry Animals für feine und gleichzeitig grosse Popmusik in Grossbritannien bekannt sind, war zu dem Zeitpunkt des Erscheinens ihres sechsten Albums "Phantom Power" nichts neues mehr. Nachden die Band zu dem Zeitpunkt bereits zum drittenmal die Plattenfirma gewechselt hatte, schien sie nun, nach einem bereits 2001 mit "Rings Around The World" beim etablierten Sony-Ableger Epic Records erschienenen ganz tollen und reifen Werk auch endlich bei der richtigen Firma angekommen zu sein. Die Erwartungen waren entsprechend hoch, als die Mannen um Gruff Rhys knapp zwei Jahre nach dem Vorgänger wieder mit einem neuen Album aufwarteten. Und das hatte es in der Tat in sich. Gerne mal in der Vergangenheit als die im Schatten stehenden "kleinen" Radiohead bezeichnet, zeigt sich eine der verwegensten und abenteuerlustigsten Bands der 90er Jahre auf "Phantom Power" von einer bis dato nicht dagewesenen, äusserst zugänglichen und herzerfrischend poppigen Seite.

Auf einmal gerieten all die kleinen, aber stilprägenden Widerhaken in der Musik der Gruppe mehr und mehr in den Hintergrund und machten grossen Melodien Platz, die sich kurzerhand in die Gehörgänge bohrten und durch ihre unverschämt schönen Melodieläufe dauerhaft im Kopf und schliesslich auch im Herzen festkrallten. Da im selben Jahr auch die zitierten Radiohead und die damals berühmten Blur neue Platten vorlegten, die richtig einschlugen, blieb für die Super Furry Animals wieder nur ein Platz in der zweiten Reihe. Doch weil die Waliser aus dem, was man in der Vergangenheit als ihre Schwächen ausmachen konnte, neue Stärken bildete, liefen sie besagten Gruppen locker den Rang weg, was sich lediglich in bescheideneren Verkaufszahlen niederschlug: Qualitativ waren die Furries mit diesem Album jedoch definitiv in der Oberliga angekommen.

Wo bisher manchmal noch der letzte Kick fehlte, die ganz grosse Melodie, an der die Super Furry Animals stets so nahe dran waren, dass man sie immer wieder auf der Liste zur nächsten "besten Band der Welt" notiert haben musste, wurden einem nun die kleinen, feinen Melodien wunderschön in zauberhaften, leicht daherschwebenden Arrangements präsentiert. Wo einige Jahre zuvor noch der Unterschied zwischen den begeisternden Songs und denen, die man zwar nett, aber nicht wirklich so interessant fand, dass man sie immer wieder hören wollte, manchmal noch hör- und fühlbar zu gross war, thronten jetzt kleine, geheimnisvolle Pop-Perlen, die zwar wieder nicht aufgrund eines tollen Refrains oder unnachahmlicher Melodien Wirkung zeigten, aber eine unglaublich intensive, geheimnisvolle Stimmung vermittelten, die den aufmerksamen Zuhörer einfach nur fesselten.

Als Beispiele hierfür seien etwa "Sex, War & Robots", "The Piccolo Snare", "Cityscape Skybaby" oder "Valet Parking" genannt. Und dann hatten die Musiker ihre alten Stärken beibehalten: Die unvermittelt daherpreschenden Rocker, sehr direkt, sofort mitreissend, mit dem für die Band so typischen „Super Furry Gitarrensound". Toll nachzuhören in den packenden Titeln "Golden Retriever" und "Out Of Control", die in lieblichen Melodien versteckten und doch so bitterbösen, auf aktuelle, öfters mal politische Themen Bezug nehmenden Texte, wie in "Liberty Belle" oder "Venus & Serena". Oder diese kleinen, absolut verrückten Ideen, für die man die Gruppe einfach lieben musste und muss, wie etwa in den Stücken "Valet Parking", "The Undefeated" und "Slow Life",

Neben Klängen aus der folkig psychedelischen Pink Floyd-Phase von Ende der 60er Jahre, Ansätzen von Elegien der Marke Lambchop oder Spiritualized, um hierfür zwei zeitaktuelle musikalische Vergleichs-Beispiele zu nennen, oder die brilliante Perfektion sowohl in den Kompositionen, wie auch in den Arrangements, die man so vor allem bei Steely Dan ausmachen kann: Würde man das Alles auf einen einzigen Künstler hinunter reduzieren, würde man wohl unweigerlich bei Brian Wilson landen, jenem Kreativ-Querkopf der legendären Beach Boys, dem die Super Furry Animals bewusst oder unbewusst in den Titeln "Father Father #1" und "#2" huldigen: Beides sind ergreifende Instrumental-Zückerchen, die ob ihrer Verbeugung vor Brian Wilson und ihrer Funktion innerhalb des Albums als Stellvertreter auf Erden von "Pet Sounds" begriffen werden dürfen. Auch Erinnerungen an die instrumentalen Parts auf Nick Drake's Album "Bryter Later" lassen sich ausmachen. Für mich der stärkste Moment auf dem exquisiten Album stellt allerdings der Track "The Piccolo Snare" dar: Dieses spannende und in sich ruhige Stück mit seiner fast gespentisch und spukigen Grundstimmung erinnert frappant an das Titelstück des "Surf's Up"-Albums von Brian Wilson und seinen Beach Boys.

"Phantom Power" ist ein geniales Werk, das den Hörer an der Hand nimmt, um ihn durch so viele verschiedene Welten zu führen, vom typischen Sound der Sixties, der so oft dominiert mit mehrstimmigem Gesang und zauberhaften Melodien bis zu modernen, verrückten, originellen Klängen. Zwischen diesen beiden Welten, die alles umrahmen, liegt aber noch viel mehr Entdeckenswertes. Die schiere Vielfalt der Klänge, das farbenprächtige Bouquet erlesenster Kompositionen in Verbindung mit der überbordenden Kreativität, die vor komplexeren Momenten niemals Halt macht: Das zeichnet dieses grandiose Werk aus, das zum Besten gehört, was die musikalischen 00er Jahre zu bieten hatten.





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