Sep 23, 2017


COLIN SCOT - Colin Scot (United Artists Records UAG 29154, 1971)

Manchmal gibt es in der rockmusikalischen Welt interessante und wohl auch völlig unbekannte Perlen zu entdecken, die entweder ausgezeichnete Musik bieten, an der die Fans und Kritiker achtlos vorübergegangen waren, oder es gab reiche Schnösels oder mit finanziellen Polstern ausgestattete Möchtegern-Künstler, die im Grunde nicht wirklich was konnten, aber durch ihren immensen Geldsegen so manchen Topmusiker bezahlen konnten, um durch professionelle Hilfe im Tonstudio wenigstens eine sogenannt amtliche Platte aufzunehmen. Im Falle von Colin Scot war es ein Mix aus beidem: Er war ein grosses Gesangstalent und scharte ein schier unglaubliches Qualitäts-Team um sich herum, das ihn bei den Aufnahmen zu einem Album unterstützte. Aus heutiger Sicht kann man durchaus sagen: Hier waren die besten Progressive Rock-Musiker der damaligen Zeit gemeinsam im Studio, von denen die meisten in späteren Jahren eine Weltkarriere hinlegen konnten. Colin Scot selbst verfügte über eine enorm schöne Stimme und spielte auch moderat Gitarre. Zu seinen eigenen Gesangskünsten holte er sich dennoch Begleitsänger und -Sängerinnen, die heute noch wohlbekannt sind. So teilten sich das Mikrophon mit Colin Scot etwa der Yes-Sänger Jon Anderson, der Van Der Graaf Generator Sänger Peter Hammill, der Rare Bird Sänger Steve Gould, die Genesis-Musiker Peter Gabriel und Phil Collins, die begnadete Linda Hoyle (Affinity), Jane Relf von Renaissance, Ann Steuart von der britischen Folkband Tudor Lodge und Alan Hull, der Sänger von Lindisfarne.

Von dieser alleine am Mikrophon besetzten All Star Crew konnte man ja einiges erwarten. Dennoch blieben die Leistungen der Top-Sänger und Sängerinnen überschaubar. Colin Scot selbst hätte sie nicht unbedingt gebraucht, denn schon alleine seine eigene Stimme war grandios schön. Dennoch setzten die Gastsänger natürlich wundervolle Akzente, auch wenn man sie stimmlich vielleicht nicht unbedingt heraushören konnte, da sie zumeist im Chor agierten und nur spärlich Sologesänge lieferten. Nicht anders sah es auch bei den Instrumentalisten aus: Auch hier stiess man auf ein unglaubliches Stelldichein der damaligen Crème de la Crème im Progressive und Folk Rock Bereich. An den Gitarren spielten Brinsley Schwarz, Robert Fripp (King Crimson), Davey Johnstone aus Elton John's Band. Am Saxophon war David Jackson von Van Der Graaf Generator zu hören. Die Keyboards teilten sich wiederum einige hochkarätige Musiker wie Bob Andrews von Brinsley Schwarz, David Kaffinetti von Rare Bird und Rick Wakeman von Yes. Dazu gesellten sich noch die beiden Bassisten Nic Potter (ebenfalls von Van Der Graaf Generator) und Rod Clements von Lindisfarne, sowie die beiden Schlagzeuger Guy Evans (Van der Graaf Generator) und Billy Rankin (Brinsley Schwarz).

Keinen grösseren Bezug gab es auf dem Debutalbum von Colin Scot zum progressiven Rock, trotz einiger bedeutender Musiker aus dem progressiven Umfeld. Stattdessen lag das Hauptgewicht auf folkigem Rock, gelegentlich etwas akustischer, manchmal auch in Richtung Country Rock tendierend. So konnte man erkennen, dass wohl die Musiker der Bands Rare Bird, Tudor Lodge, Lindisfarne und Brinsley Schwarz mehr Anteil am Gesamtsound hatten, als diejenigen Musiker aus dem Progressive Rock Umfeld. Eine nächste Frage, die sich heute rückblickend vielleicht der eine oder andere Musikkenner fragen dürfte: Was brachte so viele berühmte und versierte Musiker dazu, mit einem so gänzlich unbekannten Sänger gemeinsam eine Platte einzuspielen ? Nun, so gänzlich unbekannt war Colin Scot damals nicht. Im Gegenteil: Er galt eine zeitlang als grosse Gesangshoffnung, und den Verantwortlichen der Plattenproduktion schien kein Budget zu gross, um das erwiesenermassen begnadete Gesangstalent entsprechend zu fördern und mit grossem Trara auf den Markt zu bringen. Ausserdem spielten einige der beteiligten Musiker auch an Colin Scot's Liveauftritten ab und zu mit. Das war vor allem John Anthony zu verdanken, der den jungen Künstler von Anfang an förderte und ihm sämtliche Türen zu öffnen versuchte. Er verfügte über hervorragende Beziehungen zu den angesagten Künstlern und Bands jener Tage und ermöglichte auch den Deal mit der Plattenfirma United Artists Records.

Absolut hörenswert waren auch die insgesamt elf Songs auf dem Album, von denen die meisten aus der Feder von Colin Scot selbst stammten. Allerdings fanden sich auf dem Album auch vier Coversongs, von denen ein jeder wirklich fabelhaft gelungen war. Das vom Folkmusiker Harvey Andrews geschriebene "Hey Sandy" zum Beispiel, das mit der immensen Leistung von Colin Scot an der akustischen Gitare brillierte und einen gutgelaunten Yes-Sänger Jon Anderson im Duett präsentierte. Dass Colin Scot auch über eine gute Portion Humor verfügte, bewies er in der von Neil Innes (Monty Phyton, The Bonzo Dog Doo-Dah Band) komponierten akustischen Humoreske "Lead Us". Das von Folkmusiker Mickey Newbury geschriebene "Baby In My Lady" war wundervoller Folkrock der verträumten Art und schliesslich die von Davey Johnstone geschriebene Nummer "The Boatman", welche der damalige Gitarrist in Elton John's Band zwei Jahre später auch für sein leider einziges Soloalbum noch einmal einspielte. Doch auch Colin Scot's eigene Songs brauchten sich nicht zu verstecken, waren nicht nur instrumental hervorragend in Szene gesetzt, sondern bewiesen auch ein grosses Können des Musikers in punkto Kompositionen. 

Hier soll als herausragendes Beispiel etwa "Do The Dance Now, Davey" genannt werden, das an das später von Genesis präsentierte "The Musical Box" erinnerte, und welches mit den beiden Genesis-Musikern Phil Collins und Peter Gabriel auch zusammen arrangiert worden war. Oder die Nummer "Here We Are in Progress", bei welcher der King Crimson Gitarrist Robert Fripp wunderbare Gitarren-Akzente setzte, die so typisch für ihn waren und dem Song, der eher im Progressive Folkrock angesiedelt war, einen unverkennbaren King Crimson-Touch gaben. Von stilistisch grosser Bandbreite geprägt, wussten auch das countryeske "My Rain", das herrlich rockende "Take Me Away" und das etwas versponnene, leicht psychedelisch wirkende "Nite People" zu überzeugen. Auf der europäischen LP-Version prangten seinerzeit gross die Namen der beteiligten Stars auf dem Plattencover. Originaltitel: "Colin Scot And / With Friends". Scot's Gesang war manchmal verblüffend ähnlich zu dem von Peter Gabriel. Beim Song "Take Me Away" beispielsweise konnte man tatsächlich leicht irritiert sein, ob da jetzt nicht Peter Gabriel die Hauptstimme sang. Das Album gab also letztlich auch genügend Raum für allerlei Spekulationen. Diesem Debutabum folgten in den nächsten Jahren zwei weitere Alben, und zwar das auf Warner Brothers Records zwei Jahre später veröffentlichte "Just Another Clown", das von Tom Newman im legendären Rockfield Studio in Monmouth eingespielt wurde, sowie die im Jahre 1974 veröffentlichte Platte "Out Of The Blue", die den Sänger Colin Scot in einem stilistisch stark veränderten Umfeld zeigte: Mit Hilfe von Phillip Goodhand-Tait, Ray Glinn und Barry DeSouza geriet das Werk eher zu einem recht drögen, mit sehr viel Streichern zugekleistertes Popwerk, das stark an den frühen Chris DeBurgh erinnerte, jedoch ohne dessen ansprechenden Songs der ersten beiden Alben.

Das Debutalbum jedoch war einzigartig, sowohl in punkto der beteiligten Musiker, als auch im Hinblick auf die kompositorische Leistung von Colin Scot und insbesondere aufgrund seiner wundervollen Stimme. Freunden von Bands wie den Strawbs, Fairport Convention oder Lindisfarne würde diese Platte ganz bestimmt sehr gut gefallen. Eine Entdeckung lohnt sich unbedingt.









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