Sep 11, 2017


QLUSTER - Echtzeit (Bureau B Records BB212, 2016)

Cluster war und ist einer der grossen Namen des deutschen Krautrocks, aber insbesondere auch der elektronischen Musik. Während man stets von der Berliner Schule und in diesem Zusammenhang von Tangerine Dream, Klaus Schulze oder der Düsseldorfer Schule mit Kraftwerk, Neu! oder La Düsseldorf als deren populärsten Vertretern sprach, standen Cluster künstlerisch vollkommen autark daneben. Ihre Musik entzog sich jeder Kategorisierung, und das tut sie in der inzwischen dritten Namensinkarnation bis heute. Ausserdem halfen sie dem Musikstil Industrial, dem typischen Ambient Sound und einigem mehr als die sogenannten 'Godfathers of Elektro' entscheidend auf die Sprünge. 1969 gründeten die drei Musiker Conrad Schnitzler, Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius die Band unter dem Namen Kluster. Ihre ersten drei Alben waren vollgepackt mit Experimenten, teils atonalen Klängen, ungewöhnlichen Rhythmen und einer steinzeitlichen Urform des Progressive Rock. Ihre Musik klang avantgardistisch und sowohl der Zeit, als auch der gängigen Musiktrends entgegengesetzt.

Die Musik bürstete radikal alle Hörgewohnheiten gegen den Strich. Ausser Tangerine Dream's "Electronic Meditation" von 1970, an dem neben Klaus Schulze auch Conrad Schnitzler mitwirkte, gab es nichts Vergleichbares. Besonders in Amerika, in England und Japan genossen diese Frühwerke einer musikalischen Revolution der Klänge grenzenlose Bewunderung; egal ob Titel wie "Klopfzeichen", "Zwei-Osterei" oder "Eruption", und diese Bewunderung dauert bis heute an. 1971 jedoch war die Zeit des Trios vorbei. Conrad Schnitzler verliess die Band. Roedelius und Möbius machten im Duo als Cluster weiter. Als heimliches drittes Bandmitglied konnte man ab diesem Zeitpunkt auch Conny Plank bezeichnen. Der legendäre Toningenieur und Produzent brachte bis zu seinem Tod viele Ideen in die Musik der verschiedenen Cluster-Varianten ein. Seine Rolle wuchs weit über den Status eines Produzenten hinaus. Während die deutsche Medienlandschaft sich noch überfordert zeigte, reagierten beispielsweise englische Musikzeitschriften bereits begeistert auf den von Cluster präsentierten "Space Music, Industrial Noise, Proto-Ambient Atmospherics, Feedback-Soundwash".

Ab 1973 fusionierten Cluster mit Michael Rother, der zuvor bei den ebenfalls als Elektronikpioniere gefeierten Kraftwerk und nach einem Gastspiel bei der Gruppe Neu! zur neuen Gruppe Harmonia und entdeckten den Pop für ihre elektronischen Sounds. Neben den beiden in dieser Zeit entstandenen Platten veröffentlichen Cluster 1974 ihren Klassiker "Zuckerzeit". Das Album klang deutlich anders als das, was die Musiker zuvor und danach aufnahmen. Zu einem Motorik Beat, wie ihn Neu! erfanden, gesellten sich zwar fremdartige, aber doch eingängige, durchaus als angenehm empfundene Elektroniksounds. Doch Cluster waren damit längst nicht am Ende ihrer Innovation angelangt. 1977 arbeitete das Duo Roedelius und Möbius intensiv mit dem ehemaligen Roxy Music-Musiker Brian Eno zusammen. "Cluster & Eno" war der erste Teil dieser insbesondere im Ambient-Bereich angesiedelten, äusserst fruchtbaren Zusammenarbeit. Mit Gastmusikern wie etwa Holger Czukay von Can tauchten sie tief in jene sphärischen Klanglandschaften ein, die man heute als Ambient kennt. Die zweite Platte dieses kreativen Gespanns mit dem Titel "After The Heat", wartete sogar mit Gesang von Brian Eno und einer grösseren stilistischen Bandbreite auf.

Für beide Seiten zahlte sich die gemeinsame Arbeit letztlich aus. Der Superstar Eno brachte Cluster deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit. Eno wiederum lernte von den deutschen Kollegen alles, was er kurz darauf mit David Bowie nutzen würde, um dessen Album "Low" zu erschaffen. Neben La Düsseldorf oder Neu! gehörten Cluster zur grössten Inspiration des britischen Musikers. In den folgenden Jahren gab es diverse Platten und unzählige Kollaborationen mit anderen Künstlern. Doch nichts von alledem konnte qualitativ so richtig mit dem bereits so früh Erreichten konkurrieren. Möbius und Roedelius konzentrierten sich immer stärker auf ihre teils grossartigen Soloplatten. Ende 2010 verkündet Roedelius nach einer finalen Show das Ende von Cluster. 2011 erfolgte jedoch bereits eine dritte Umbenennung und Umbesetzung. Als Qluster führten Hans-Joachim Roedelius sowie der Musiker und Tontechniker Onnen Bock die Band fort. Im selben Jahr erschien deren erstes Album "Fragen", dem noch im selben Jahr mit "Rufen" (2011), "Antworten" (2012), "Lauschen" (2013) und "Tasten" (2015) vier weitere Werke folgten. Hans-Joachim Roedelius, Onnen Bock und Armin Metz waren nunmehr Qluster, die inzwischen dritte Inkarnation eines Musikprojekts, das 1969 ins Leben gerufen worden war. Seit 2013 waren Qluster wieder ein Trio: Mit Armin Metz stiess ein Musiker dazu, der als experimentierfreudiger und virtuoser Bassist bekannt ist, bei Qluster aber vor allem Tasteninstrumente spielte. "Echtzeit" war nach dem reinen Piano-Werk "Tasten" (2015) ein Album, auf welchem sich Qluster wieder verstärkt ihrem elektronischen Equipment bedienten. Wobei Roedelius' Lieblingsinstrument, der Flügel, auch zu seinem Recht kam. Weite Teile des Albums wurden in einer Kirche aufgenommen.

Das Prinzip des Schaffensprozesses war und ist bei Kluster, Cluster und schliesslich
Qluster seit je dasselbe: Musikalische Strukturen entstanden aus dem Augenblick heraus. Die Stücke ihrer Alben waren und sind auch heute noch Passagen aus langen Improvisationen, die eine besondere Atmosphäre und stimmige Muster oder Verläufe aufweisen. Das spielerische Experimentieren mit neuen Instrumenten und Effekten oder Klangeinstellungen birgt häufig den kreativen Zündfunken. Trotz der hohen Experimentierfreudigkeit wäre das Wort Experimentalmusik aber fehl am Platz. Dissonanzen, Geräusche oder Glitch-Sounds fehlen weitgehend. Das Werk "Echtzeit" zum Beispiel ist durchgängig harmonischer, zugänglicher als die elektronischen Vorgängeralben.
Bereits ihr 2013 erschienenes Album "Lauschen" zeigte die Richtung an, in die Qluster sich bewegten. "Echtzeit" wurde zu einer kontemplativen, reifen, intelligenten Elektronikmusik, die den Hörerkreis des Trios nach all den vielen Jahren noch einmal deutlich erweitern konnte.











No comments:

Post a Comment