Oct 26, 2016


PAMELA HUTE - Turtle Tales From Overseas 
(Guess What Records 8345 10672 5, 2009)

Das Auffälligste: Hier kommt knallbunter und teils richtig dreckiger Power Pop-Punk ohne Bassist, der trotzdem herzhaft kracht. Das Augenfälligste: Frau Hute trägt eine dicke Hornbrille und suggeriert eher das Liebesliedchen trällernde Mädchen von nebenan. Das Unverschämteste: Die Frau rockt die Gitarre, dass sich selbst die hartgesottenste Männerbastion warm anziehen kann. Fräulein Hute kommt aus Frankreich, genauer gesagt aus Paris und dort hat sie auch diese umwerfend geile Platte aufgenommen, zusammen mit ihren beiden Begleitmusikern Igor Bolender an den Keyboards und Ernest Lo am Schlagzeug. Madame selbst singt mit toller Stimme und malträtiert die Stromgitarre, dass es eine Freude ist. Dabei verfällt Pamela Hute keinesfalls in billige Punk-Plattitüden, sondern orientiert sich mit ihrem qualitativ hervorragenden Spiel durchaus an anspruchsvollem Gitarren-Rock der Marke Dinosaur Jr., The Breeders und - man horche auf - der Beatles. Vor allem im herrlich an deren "Maxwell's Silver Hammer" erinnernden Stück "Parachute" schimmert ihre Vorliebe zum Sixties Power-Pop durch. Ebenso die Kinks, die man in einigen Stücken durchaus heraushören kann.

Pamela Hute gründete ihre erste Band The Mashed Potatoes im Jahre 2001, ging aber nach fünf Jahren als Solokünstlerin an den Start. Das Auffälligste war, dass Madame Hute nie mit einem sesshaften Bassisten zusammengearbeitet hat. Ihr fülligerer und wuchtiger Breitwand-Gitarrensound machte einen Bassisten praktisch überflüssig. Dennoch spielten in den Anfangsjahren vor allem an Konzerten immer wieder mal Bassisten in ihrer Band mit, so etwa Nicolas Ferney in den Jahren 2005 und 2006, sowie Grégoire Mae in den darauffolgenden zwei Jahren. Danach konzentrierte sich Pamela Hute auf ihr Basis-Trio und begann, Songs zu komponieren, die erstmals in Form einer sechs Titel umfassenden EP mit dem kruden Titel "v1.1" auf den Markt kamen. 2008 legte sie mit einer weiteren EP nach. Diese umfasste drei Titel und war schlicht "3" benannt. Dann schaffte es Pamela Hute, einen Plattenvertrag mit dem Label Guess What Records zu ergattern und konnte 12 Songs, von denen einige bereits vorher für die beiden EP's eingespielt worden waren, noch einmal unter professionellen Bedingungen in einem Top-Tonstudio in der Dordogne aufnehmen. Zusätzliche Tracks wie "Parachute", "Tell Me More" und "Chocolate Soup" wurden in Paris aufgezeichnet.

Besonders das an die Beatles erinnernde Stück "Parachute" stellt einen köstlichen Kontrapunkt im ansonsten mächtig losrockenden Album dar. Mit seinem Tuba- und Trompeten-Arrangement hebt es sich stilistisch und instrumental deutlich vom Rest der Platte ab. Ansonsten wird kernig und herzhaft gerockt, Fräulein Hute langt ordentlich zu, stemmt sich in ihr Griffbrett wie dolle und kreiert mit der Fülligkeit ihres breitwandigen Gitarrensounds einen fetten Rock, der eher auf drei, denn auf nur einen Gitarristen schliessen lässt. Dabei driftet die Musikerin nie in den platten Dresch-Rock ab, sondern spielt einen qualitativ perfekten Hardrock, der die Songs knallig und trotzdem melodiös erscheinen lässt. Bei aller Härte sind ihre Songs immer auch mitsingbar. Das erste Stück "Hysterical" wurde auch als Single veröffentlicht, erhielt aber für die Nachbearbeitung für's Album noch einmal einen ziemlich heftigen Bums dazu. Die Nummer geht dadurch mächtig in die Vollen. Das eher cinematographisch aufgebaute "Pink Safari", das herrliches End-Fifties Flair präsentiert, zeigt genau das Gegenteil. Und wenn Fräulein Hute dann auch noch die grossartige Indie Rock-Röhre heraushängen lässt, gefällt sie eigentlich am besten. Dann klingt sie manchmal wie all die grossen Brit Rock-Bands der vergangenen Jahre, etwa wie Blur, Oasis, Cast, die Kaiser Chiefs oder The Libertines (kennt die noch Jemand ?).

Das Album "Turtle Tales From Overseas" erhielt sehr gute Kritiken, wurde aber aufgrund eines sehr eingeschränkten Veröffentlichungs-Radius kaum bekannt: Das Album erschien als aufklappbare Mini LP CD lediglich in Frankreich, Belgien und der Schweiz. Es lohnt sich unbedingt, nach diesem tollen album Ausschau zu halten, es dürfte nicht sehr verbreitet sein. Alleine die kernigen Rocker "You Made Me Lady", "Don't Help Me", "My Dear" und "Tell Me More" lohnen den Kauf, neben den bereits erwähnten Titeln weiter oben. Am überraschendsten gibt sich Pamela Hute dann zum Ende hin: "Pink Safari" erinnert in seiner Fifties France-Bistro Art doch unterschwellig tatsächlich auch irgendwie an Pink Floyd, denn hier lässt die Musikerin ihre Gitarre gefühlvoll und ungewöhnlich geschmeidig auffahren, und zwischen dem anregenden Pernod und der rustikalen Baguette meint man tatsächlich die akustische Gitarre von David Gilmour zu vernehmen.


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