May 1, 2017


WILLY DE VILLE - Miracle (Polydor Records 833669-1, 1987)

Die Rockmusik hat ja doch so einige Verlierer hervorgebracht, aber kaum einen, den man so unterschätzt hätte wie Willy DeVille. Das mag auch an seinem Äusseren gelegen haben. Der zeitlebens dürre Kerl mit mondänster Kleidung, aufreizendem Bärtchen und grossem Herzen war dem Dunstkreis des Punk, der sich Mitte der 70er Jahre in dem heruntergekommenen New Yorker Club CBGB's breitmachte, entstiegen und spielte dann einen Rhythm'n'Blues, dessen Schönheit und Schärfe unerreicht blieben. Mit seiner Band Mink DeVille verbreitete er ein Jahrzehnt lang eine hoch virile Eckensteherromantik, die dem klassischen Soul der Drifters verwandt, ihm aber an Raffinesse weit überlegen war. In seinen Liedern ging es fast immer um Herumtreiber, deren Blut leicht zum Kochen zu bringen war: "Ssomehow I gotta make her mine" war eine Standardformulierung in seinem Repertoire. Der Geist von Spanish Harlem, die Wahrheit des Ghetto-Songs fanden in ihm ihre adäquateste Verkörperung seit Ben E. King. Es war vor allem Jack Nitzsche zu verdanken, dass Mink DeVille 1977 einen dermassen zündenden Start hinlegten. Die so kunstreich wie geschmackvoll produzierten, auf Capitol Records erschienenen Platten "Cabretta" mit den frühen Hits "Spanish Stroll" und "Cadillac Walk", sowie das Nachfolgealbum "Return To Magenta" atmeten eine Romantik, die von dem bisweilen knochenharten Rock nicht etwa erdrückt wurde, sondern noch zusätzlich hervortrat. In einem versierten, aber fragilen und ständig wechselnden Bandgefüge lebte sich Willy DeVille mit einer fast unverschämten Grandezza und Schmierigkeit aus, die seine stimmlichen Leistungen bisweilen in den Hintergrund drängten.

Aber niemand, weder Mick Jagger oder Van Morrison, kamen ihm im weissen Lager gleich, wenn er auf seinen melodramatisch aufbereiteten Balladen wie "Guardian Angel", "Just Your Friends" und vor allem "That World Outside" erst Luft holte und dann delikate Seufzer ausstiess. Auch im mittleren Tempo konnte kaum einer bei ihm mithalten, etwa wenn er den Auftaktsong "This Must Be The Night" von seiner 1979 in Paris aufgenommenen und zu seinen besten Platten gehörenden "Le Chat Bleu" intonierte, der mit süsslichem Background-Gesang und einer sich hochschraubenden Dramaturgie zum Überwältigend-Verführerischsten gehört, was die Popmusik nicht nur jener Jahre zu bieten hatte. Nicht weniger überzeugend war er schliesslich als fauchender Rocksänger, der mit an sich gar nicht so hartem Material wie "Savoir Faire" oder "Lipstick Traces" mehr Drive und Durchschlagskraft entfaltete als eine Heavy Metal-Band, und dies alles dank einer Stimme, die aggressiv und schneidend, zärtlich und einschmeichelnd, stolz und klagend sein konnte, aber des Guten nie zu viel tat. Diese Ökonomie, also die Weigerung, gesanglich zu übersteuern, machte Willy DeVille's Einzigartigkeit letztlich aus.

Aber nicht nur sie. Hinzu kam das in seinem Fall absolut glaubwürdige, jede Warnung vor Lächerlichkeit in den Wind schlagende Posieren in Rollen, die man längst überholt glaubte oder die dem Publikum sonst nur noch in ironisch-travestierter Form zugemutet wurden. Willy DeVille war wirklich der schmachtende Liebhaber mit hochtoupiertem Haar und Goldzahn, als der er sich noch Mitte der 80er Jahre auf der letzten Mink DeVille-Platte "Sportin' Life" zeigte, die den fiebernd-federnden Übersong "I Must Be Dreaming" enthielt. Die vorher und ebenfalls für Atlantic Records eingespielten Alben "Coup De Grace" und "Where Angels Fear To Tread" boten neben dem typischen, nun noch stärker von einem süffigen Saxophon angetriebenen Rhythm'n'Blues auch Latino- und Salsa-Klänge, darunter mit "Demasiado Corazon (Too Much Heart)" und "Each Word's A Beat Of My Heart" zwei seiner bekanntesten Titel, die kommerzieller waren als alles, was er davor und danach gemacht hat.

Mit dem ersten, unter seinem eigenen Namen veröffentlichten Album "Miracle" präsentierte Willy DeVille 1987 ein komplett anderes Werk, das in seinem gesamten Oeuvre einzigartig blieb. Nicht nur nahm er das Album in England (in London) auf: Es klang auch britisch und ziemlich gradliniger und taffer als seine bisherigen Werke. Die Fans und Kritiker nahmen ihm dieses Album zwar nicht übel, aber sie goutierten es auch nicht wirklich. Die Verlkaufszahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Und die Erwartungen waren sehr gross, denn hier versammelte sich eine Armada berühmter Musiker und nicht zuletzt ein stilistisches Element, das schon fast zu offensichtlich in Szene gesetzt war: Mark Knopfler und Gary Fletcher, die beiden Dire Straits-Musiker, drückten dem Werk einen eindeutigen Stempel auf. Streckenweise klang "Miracle" in der Tat wie ein Dire Straits Album, das von Willy DeVille gesungen wurde. Ausserdem spielten auf diesem Album der Toto-Schlagzeuger Jeff Porcaro, der Country-Gitarrist Chet Atkins (mit welchem Mark Knopfler in jenen Tagen auch ein gemeinsames musikalisches Projekt im Köcher hatte), Mickey Feat, der zuvor bei Van Morrison und Alvin Lee gespielt hatte, und Jamie Lane (Tina Turner, Sniff'N'The Tears) mit. Das Album wurde auch von Mark Knopfler produziert, und er schrieb gemeinsam mit Willy DeVille den Titel "Spanish Jack", der in seiner ganzen Machart perfekt auf eines der Dire Straits-Alben aus jenen Tagen gepasst hätte.

Die Idee zum Album "Miracle" kam von Mark Knopfler's Ehefrau Lourdes. Sie meinte, dass Mark Knopfler nicht singe wie Willy DeVille und Willy nicht Gitarre spielen könne wie Mark, aber dass ihr Ehemann ein grosser Fan von Willy sei und warum er denn dann nicht einmal ein Album mit ihm aufnehmen würde. Willy DeVille ging nach Knopfler's Einladung nach London und die Musiker spielten diese Platte ein, die eigentlich nicht hätte nach Dire Straits klingen sollen, aber letztendlich dann doch eben ein quasi typisches Knopfler-Album wurde. Auf "Miracle" fand sich indes mit dem Titel "Storybook Love" einer der schönsten und besten Songs, die Willy DeVille überhaupt geschrieben hatte. Gerade bei dieser wundervollen Ballade passte der typische Knopfler-Gitarrenstil absolut perfekt. Der Song klang wie diese eine herausstechende Ballade, die Knopfler selbst nie hingekriegt hat. Da er sie jedoch selbst gespielt und arrangiert hatte, dürfte die ganze Magie dieses Songs letztlich von der Performance von Willy DeVille ausgegangen sein, dieser fast schon erotischen Brüchigkeit, dieser müden Fragilität, die jederzeit zu brechen drohte und dennoch bis zum Ende diese ergreifende Stimmung aufrecht erhalten konnte. Der Titel wurde ausgewählt als Titelsong des Kinofilms ""The Princess Bride" und wurde für einen Academy Award nominiert.

Das gesamte Album wurde mehrheitlich als steril und zu perfekt beurteilt, was vor allem daran lag, dass Mark Knopfler sich etwelcher moderner Digitaltechnik bediente, die zu der Zeit verfügbar war und er selbst auch im digitalen Zeitalter angekommen war. Das mochte im Grunde wohl am befremdlichsten gewirkt haben, denn Willy DeVille stand eigentlich genau für das Gegenteil dieser kalten digitalen Welt. Darum jedoch stach sein Gesang erst recht aus dieser unterkühlten Produktion heraus, und mancherorts klang das sogar richtig cool, etwa beim bitterbösen und sarkastischen Titel "Southern Politician", auf welchem Knopfler dezente Rock-Gitarrenlicks perfekt punktuiert setzte, während sich Willy DeVille durch eine Geschichte nuschelte, in welcher er die Verlogenheit eines Politikers auf Wahlkampftournee anprangerte "He's a southern politician, set on winning this here election inside his big white plantation all the liquor and women that money can buy". Die Kritiker schrieben allerdings eben auch, dass gerade DeVille's stimmlichen Darbietungen hier aussergewöhnlich gut und ebenso gut zur Geltung kamen, was wiederum doch für diese im Grunde glasklare und moderne Produktion sprach: Das lüpfige "Angel Eyes", das romantische "Nightfalls" und vor allem der einzige Coversong auf diesem Werk, nämlich Van Morrison's "Could You Would You ?" wurden diesbezüglich herausgestellt. Letzteres gehört sicherlich zu den besten Covernummern, die Willy überhaupt aufgenommen hatte.

Die viel zu technisch arrangierte Startnummer "(Due To) Gun Control" wiederum schreckte viele Hörer erst einmal ab. Dieses viel zu offensichtlich billigen (Rock-) Digitaleffekten geschuldete Arrangement verschluckte Willy DeVille's Stimme buchstäblich. Das war deswegen schade, weil der Musiker hier eines der grössten Probleme im Amerika der heutigen Zeit aufgriff: den Waffenkult. Dann überraschte Willy jedoch wieder mit einem Highlight in Form der Schmusepop-Ballade "Heart And Soul", und in dieser Sparte war der Künstler einfach zuhause und wie immer ergreifend schön "and the choir sings 'Ave Maria', I look into your eyes, they say a million things - Cathedral bells they start to ring and you are mine, forever and ever" - wundervoll! Willy sagte übe diesen Titel: "It's a song about a couple who is very in love. They have no money, but someday they wanna get married in a big church and have a gold earring and new boots. And you wanna look so pretty for that girl. I think men always try to be so 'macho'. I think that's very stupid. There's nothing wrong with being a pretty man. In fact, I can't wait until tomorrow, I'm getting better-looking everyday." Nicht minder schön auch "Assassin Of Love", diese zwar wiederum auf Hochglanz polierte sehr trocken produzierte Poprock-Nummer, der auch hier wieder Willy seinen überragenden Stempel aufdrückte. Hier wirkte sein Gesang noch zerbrechlicher als sonst. Geradezu brüchig vorgetragen, bewegt er sich hier im Nuttenmilieu und singt über ein Mädchen mit einem Herz aus Stein, aber Lippen so süss wie Kirschlikör. Sie ist eine Attentäterin der Liebe. Solche Geschichten waren es, die in dieser Intensität und Glaubwürdigkeit kaum ein anderer Musiker so vortragen konnte wie Willy DeVille. Der Song "Assassin of Love" wurde auch in der britischen Filmversion von "The Rachel Papers" verwendet, was Willy dabei half, in England etwas populärer zu werden. Ausserdem verwendete die Band U2 den Song auf ihrer Nordamerika-Tournee im Jahre 2009 als Soundcheck-Referenz für die Ausrichtung ihres Bühnensounds.

"Miracle" war DeVille's erstes Album, das gänzlich auf Blasinstrumente verzichtete, wohingegen seine früheren Alben stets einen Saxophonspieler als festes Bandmitglied aufwiesen. Die Platte wurde später wiederveröffentlicht auf Raven Records als CD. Diese Wiederveröffentlichung präsentierte dann als Beigabe zum offiziellen Album das Stück "I Call Your Name", das 1987 nur auf der CD Single "Miracle" veröffentlicht worden war, ausserdem die drei von Jack Nitsche im Jahre 1980 produzierten Songs "Heat Of The Moment", "Pullin' My String" und "It's So Easy." Diese Songs wurden für den Soundtrack des Films 'Cruising' eingespielt. Das Stück "It's So Easy" wiederum ist auch auf dem Soundtrack zu Quentin Tarantino's Film 'Grindhouse: Death Proof' zu hören. Das Stück "I Call Your Name" nahm Willy DeVille später noch einmal auf und veröffentlichte es, angereichert durch ein üppiges Streicher-Arrangement auf seinem Album "Backstreets Of Desire" (1992).

Unter dem Ausbleiben von Massenakzeptanz litt Willy DeVille während seiner gesamten Solokarriere, die eigentlich erst mit dem Mariachi-Aufguss von Jimi Hendrix' "Hey Joe" in Gang kam. Auf den Alben "Loup Garou" (1995) und "A Horse Of A Different Color" (1999) zeigte er wieder sein altes Format, das verfeinert wurde von bitter-süsslicheren Spielweisen und erweitert um indianische und südstaatliche Stilelemente. Willy DeVille hatte sich nun ganz New Orleans ergeben und setzte verstärkt auf seine Qualitäten als Blues-Crooner. Entsprechend sumpfig klang seine Musik, die wohl auch der Austreibung persönlicher Dämonen diente. Wer das Glück hatte, ihn zu jener Zeit auf der Bühne zu erleben, würde einen so grosspurigen wie dünnhäutigen, bis in die letzten Nerven hinein angespannten und gleichsam jederzeit zum Tigersprung bereiten Musiker voller Hingabe und Professionalität in Erinnerung haben. Der ganz grosse Erfolg blieb trotzdem aus. Bis er starb, bewies Willy DeVille jene Nehmerqualitäten, die er an seinem Filmvorbild Sylvester Stallone immer so bewundert hatte: "Musik ist mein ganzes Leben, es ist das Einzige, was ich kann. Ich habe den Film 'Rocky' gesehen, damit kann ich mich identifizieren. Ich habe jede Menge Talent, ich bin wirklich gut, ich könnte der Beste sein. Ich muss es mir beweisen, ich muss es für New York beweisen, denn irgendetwas Gutes muss diese gottverdammte Stadt doch hervorbringen". Willy DeVille hatte es sich, New York und der ganzen Welt bewiesen. Wie ein lange vor der Zeit verfasster Nachruf las sich, was der grosse Doc Pomus einst über Willy DeVille geschrieben hatte: "Und Wahrhaftigkeit und Liebe werden die ganz Grossen immer von denen trennen, die nie waren und nie sein werden".









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