May 16, 2017


THE GASLIGHT ANTHEM - American Slang
(Side One Dummy Records SD1418-1, 2010)

Für viele Genrekenner war die Veröffentlichung von "The 59 Sound" im Sommer 2008 eine riesige Überraschung und später wohl das beste Album des Jahres. Das Album, produziert für das vom Rancid Sänger geführte Plattenlabel Tim Amstrong's Label Side One Dummy, liess The Gaslight Anthem durch Springsteen-getränkte Punk- und Rocksongs zu einer Genregrösse werden. War es nach dem Debutalbum "Sink Or Swim'' noch ruhig um die vier talentierten jungen Musiker aus New Jersey, so nahm ihre Geschichte hier ihren Lauf. Im Juni 2010 folgte das Album ,"American Slang'". Heiss erwartend und sich fragend, ob diese Platte genauso gut sei wie das Vorgängeralbum, stürmten die Fans in die Läden oder downloadeten es bei iTunes. Die Konsequenz war die erste Platzierung in den deutschen Albumcharts: Platz 8. Da wo sonst immer nur eine Lady Gaga oder ein David Guetta zu finden waren, tauchten auf einmal vier Punkrocker auf und machten von sich reden. Auch wenn das nur von sehr kurzer Dauer war, so zeigte es doch den mittlerweile erarbeiteten Stand von The Gaslight Anthem in der grossen Musikszene.

Die Songs indes wirkten durchweg anders produziert als auf dem Vorgänger "The 59 Sound". Ein wenig dreckiger, mit hörbar mehr Biss und weniger Hall auf Brian Fallon's wie immer sehr starken Stimme. Der Titeltrack, mit welchem das Album auch eröffnet wurde, liess für das weitere Anhören jedenfalls Hoffen und Bangen zugleich. Das Stück erinnerte in seiner ganzen Art und Weise frappant an den frühen Bruce Springsteen und klang als erster Song auf dem Album sehr passend, nur hoffte man im weiteren Verlauf eher auf punkigere titel im Stil von ,"The Patient Ferris Wheel". Diese Hoffnung erfüllten die nachfolgenden Songs durchaus, wie etwa "Stay Lucky", "Old Haunts" oder auch "The Spirit Of Jazz". Immer wieder unterbrochen wurden diese beherzt rockenden Nummern allerdings von nachdenklich stimmenden, sehr atmosphärischen Balladen, aber auch von manchmal fast ohrwurmigen und tragenden Rocksongs. Einmal mehr bewies Brian Fallon sein Talent als qualitativ enorm guter Songtexter. Lieder, welche man sich ohne Probleme auf den Unterarm tätowieren konnte. Passagen, welche zum nachdenken und mitfühlen motivierten, waren jedenfalls keine Mangelware auf dem Werk. Ob seine Aussagen politisch gefärbt waren ist wie im Track "American Slang'" oder als starke und aussagekräftige Lebensanekdoten und Metaphern die gewünschte Wirkung erzielten: "And shame on you my love. You sold your youth away. Memories are sinking ships that never would be saved" und viele weitere Zeilen seiner Songs waren schlicht begeisternd. Am Ende überraschten The Gaslight Anthem noch einmal bei "We Did It When We Were Young'" mit einer Abgeklärtheit, die man bestenfalls einem zwanzig Jahre älteren Songschreiber zubilligen würde. Eine ruhige, sehr atmosphärische Ballade, welche das Album beeindruckend abschloss.

Für die Produktion des Albums zeigte sich wie auch schon beim Vorgänger Ted Hutt, das Gründungsmitglied von Flogging Molly, verantwortlich. Thematisch getragen wurde das Album durch den Arbeiterklasse-Spirit, der sich vor allem in der Vorab-Single "American Slang" manifestierte. Mit "Stay Lucky" und "Orphans" knüpfte die Band aus New Jersey an den punkigen Sound ihres Debüts "Sink And Swim" an. Brian Fallon, aus dessen Feder die zehn Stücke für "American Slang" stammten, beschrieb das Songwriting für diese Platte als sehr ungezwungen. So ist wohl auch die Leichtigkeit verschiedener Tracks wie "The Diamond Church Street Choir", in dem Fallon seine angenehm kratzige Stimme besonders eindrucksvoll in Szene setzte, oder der Song "Boxer" zu erklären. Den melancholischen Schlusspunkt setzte schliesslich wie bereits erwähnt das wundervolle "We Did When We Were Young", das einer Hymne über das Erwachsenwerden gleichkam: "I am older now and we did it when we were young". Am Ende präsentierten The Gaslight Anthem hier zehn Songs, die durch eingängige Melodien und vor allem jede Menge Seele bestachen. The Gaslight Anthem schienen ihren Sound nun gefunden zu haben.

Den Stein ins Rollen brachten The Gaslight Anthem im Jahre 2007 mit ihrem Debüt "Sink Or Swim". Zwar war die Band damals in ihrer Frühphase noch deutlicher am Punkrock orientiert und Brian Fallon's Gesang um einiges rauher als auf den späteren Veröffentlichungen, jedoch war bereits damals abzusehen, dass The Gaslight Anthem ein ungeheures Potential mitbrachten. Die an den Tag gelegte Leidenschaft hörte man den Songs bereits an und auch die häufig zitierte Working Class-Attitüde der Band (Fallon arbeitete früher als Schreiner) war sprichwörtlich mit Händen zu greifen. Somit liessen sich die beiden grössten musikalischen Einflüsse auf den Sound von The Gaslight Anthem schnell ausmachen: Der "Working Class Hero" Bruce Springsteen - wie die Band übrigens aus New Jersey - und die befreundeten Hot Water Music, dessen Gitarrist und Sänger Chris Wollard sogar auf dem Album "Sink Or Swim" zu hören war. Den meisten Hörern waren The Gaslight Anthem aber wohl erst seit ihrem Album "The '59 Sound" ein Begriff, welches wie kein zweites Album die perfekte Schnittmenge zwischen Soul und Punkrock darstellte.

Songs wie der Titelsong jener Platte oder auch "Great Expectations" wurden in kürzester Zeit zu Hymnen und The Gaslight Anthem wurde als erster amerikanischer Band die Ehre zuteil, das Cover des britischen Musikmagazins Kerrang zu zieren. Die unglaubliche Erwartungshaltung nach "The '59 Sound" ebenso wie die Suche der Band nach dem eigenen Sound geriet aber zu einer einzigen Parade. Es gab wohl dennoch nicht wenige Fans, die von "American Slang" etwas enttäuscht waren. Doch im Grunde genommen gab es dafür nicht den geringsten Anlass, denn was die vier Musiker aus New Jersey auf "American Slang" boten, war nachwievor hymnischer Springsteen-Punk mit jeder Menge Soul und Attitüde. Und auch, dass das Überraschungsmoment nach "The '59 Sound" aufgebraucht sein, und sich gleichzeitig die Gruppe auch weiterentwickeln würde, war eigentlich zum vornherein klar.

Die herausragenden Gitarren-Melodien von Alex Rosamilia waren indes auch auf dem Album "American Slang" sehr eingängig und funktionierten gerade im Zusammenspiel mit der knackigen Rhythmusfraktion und Brian Fallon's souligem Gesang nachwievor besonders gut. Allerdings schlug die Band an einigen Stellen des Albums auch ungewohnte Töne an. Allen voran muss da das finale Stück "We Did It When We Were Young" erwähnt werden. Der Song bot Brian Fallon's Stimme besonders viel Raum, während der Songtext den Blick nicht melancholisch in die Vergangenheit richtete, sondern den nötigen Realismus erkennen liess, um fest im Hier und Jetzt zu stehen. Somit stand dieser Song wohl symptomatisch für die Entwicklung von The Gaslight Anthem. War "The '59 Sound" das richtige Album zur richtigen Zeit, so war der Nachfolger "American Slang" die behutsame Weiterentwicklung der eigenen Stärken, ohne dabei den inneren Kompass zu verlieren.

The Gaslight Anthem gehören zu den interessantesten neueren Rockbands aus den USA und bringen auch weiterhin gute und sehr empfehlenswerte Alben heraus. Persönlich würde ich "American Slang" bevorzugen, doch das ist reine Geschmackssache. Musik, die nicht mindestens gut ist, haben The Gaslight Anthem bislang wahrlich nicht gemacht.







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