May 20, 2017


LEE CLAYTON - Lee Clayton (MCA Records MCA-365, 1973)

Das ist ja vielleicht ein geiziger Musiker: Sechs Alben in 44 Jahren, dazu noch eine DVD eines wundervollen Auftritts im Rockpalast von 2014. Eine nicht eben üppige akustische Ausbeute für einen mit so viel Talent gesegneten Songschreiber, Sänger und Gitarristen wie Lee Clayton. Der am 29. Oktober 1942 in Russellville, Alabama geborene Countrymusiker ist stilistisch im Bereich zwischen Rock und Country zuhause. Clayton wuchs in Oak Ridge, Tennessee auf und begann im Alter von sieben Jahren Mundharmonika und Gitarre und mit neun Jahren auf der Pedal Steel-Gitarre zu spielen. Nachdem er die United States Air Force absolviert hatte, zog er 1969 nach Nashville und begann eine Karriere als Songschreiber. Sein erster grosser Erfolg war der Song "Ladies Love Outlaws" aus dem Jahre 1972, mit dem der Country-Star Waylon Jennings auf Platz 11 der Billboard Charts landete. 1973 erschien Lee Clayton's erstes Album, mit dem der Musiker allerdings unzufrieden war. Darüber hinaus komponierte er weiterhin Songs für andere Musiker, wie zum Beispiel die Nummer "Lone Wolf" für Jerry Jeff Walker oder "If You Could Touch Her At All" für Willie Nelson.

Die Geschichte von Lee Clayton ist indes der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Trotz seines sehr mageren Gesamtwerks, von dem die Hälfte gar in den 70er Jahren veröffentlicht worden war, gilt Lee Clayton heute als ein begnadeter Songschreiber, der zahlreiche Lieder - auch für andere Künstler - schrieb, die von ungewöhnlich hoher Qualität waren. Alleine das Stück "Ladies Love Outlaws" ist längst ein Klassiker de Countrymusik geworden. Nicht nur Waylon Jennings hatte diesen Titel als Single veröffentlicht, auch der Folkmusiker Tom Rush erkor es zum Titelsong seines gleichnamigen Albums von 1974. Ausserdem coverten die Everly Brothers den Titel auf ihrem Werk "Pass The Chicken And Listen" und der Song wurde auch für den Soundtrack des Films "Maverick" ausgewählt, in dieser Variante gespielt von der Band Confederate Railroad.

Lee Clayton selbst stand nie wirklich grossartig im Rampenlicht, er war ein stiller und hervorragender Künstler, letztlich auch bescheiden und meidete über die Jahre auch öfters die Medien. Im Gegensatz zu den grossen Topstars in der Country-Szene wie etwa Garth Brooks und Konsorten konnte Lee Clayton nie einen eigenen Hit landen, auch nicht mit jenen Songs, die er für andere Künstler geschrieben und selbst ebenfalls performt hatte. Auch Artikel über ihn in Musikmagazinen waren sehr spärlich, selbst in den 70er Jahren, als er seine erfolgreichste Phase hatte, die ihn zwar relativ bekannt machte, aber auch schnell in der Versenkung verschwinden liess. Das einzig Regelmässige, was man über Lee Clayton lesen konnte waren Hinweise auf seine Person als Komponisten, wenn er wieder einmal einen Song für einen bekannteren Künstler geschrieben hatte, der bestenfalls zu einem Hit avancierte. Seine eigenen Platten brachte er aber nie in die Hitlisten. So gab und gibt es auch nur spärliche Informationen zu ihm und seiner Person. Das einzige Fachblatt, das Lee Clayton mehr als nur einmal kurz vorstellte, war die Zeitschrift Omaha Rainbow, die zweimal in den Jahren 1978 und 1980 ausführliche Berichte zu diesem einmaligen Künstler abdruckte.

Clayton wuchs in Oak Ridge Tennessee auf, wie er damals in dem Interview mit dem Omaha Rainbow erzählte: "I've always known music was important - when my dad knew he'd got uptight, and the world got too much for him, he would break out his bourbon play Red Foley and Jimmie Rodgers records and tell war stories and drink whiskey". Sein Vater erkannte in dem jungen Lee das Talent für Musik und offerierte ihm die Wahl zwischen einem Akkordeon und einer Gitarre. Als er sich für die Gitarre entschied, erhielt er von seinem Vater eine Steel- oder Hawaii-Gitarre (eventuell aber auch ein Dobro - genau konnte selbst der Musiker das nicht mehr mit letzter Sicherheit sagen). Er wurde in den Gitarrenunterricht geschickt, was ihm allerdings nicht sehr behagte und er deshalb lieber zuhause für sich selber jammen wollte. Dies wiederum akzeptierte sein Vater nicht und nahm ihm die Gitarre wieder weg.

Clayton begann allerdings mit 16 Jahren erneut mit dem Gitarrenspiel, ging anschliessend auf die Universität und machte einen Bachelor in Wissenschaft, spezialisierte sich auf Industriemanagement. Er startete eine berufliche Karriere, und schon zu Mitte der 60er Jahre hatte er vermeintlich alles, was sein Herz begehrte: Er war verheiratet und fuhr einen Porsche, fühlte sich aber trotzdem innerlich leer und kreativ nicht gefordert. 1969 gab er seinen Beruf auf, ging zur Airforce und wurde Pilot. Als er die Armee verliess, plante er, nach Nashville zu gehen und wollte seinen Bubentraum verwirklichen: ein erfolgreicher Sänger und Songschreiber werden. Das gestaltete sich allerdings wesentlich schwieriger, als er sich das vorgestellt hatte: Er lebte ohne Job in Louisville Kentucky und reiste drei- bis viermal die Woche nach Nashville, um dort zu spielen und Kontakte zu knüpfen. Wurde er einmal angesprochen, was er denn so machen würde, antwortete Clayton immer: "I'm a poet and songwriter". Innerhalb von nur sechs Monaten war Lee Clayton pleite: Seine Kreditkarten wurden eingezogen, er musste seinen Porsche verkaufen und lebte auf der Strasse.

Aufwärts ging es mit ihm wieder Anfang 1973, als er überraschend bei MCA Records einen Plattenvertrag unterzeichnen konnte und einen grosszügig bemessenen Vorschuss für eine erste Platteneinspielung erhielt. Lee Clayton nutzte diese Gunst der Stunde und versuchte, einige seiner selbst verfassten Titel mit der Unterstützung von Musikern ,die er persönlich sehr schätzte, einzuspielen. Darunter waren einige hochkarätige Musiker zu finden. Lee Clayton hatte im Grunde einfach auch Glück, dass diese Musiker gerade zur Verfügung standen, als er sie zu Studioaufnahmen buchen wollte. Seinen Song "New York Suite 409", der später auf seinem Debutalbum zu finden war, nahm er gemeinsam mit Dennis Linde auf, jenem Topmusiker, der unter anderem den Elvis-Klassiker "Burning Love" geschrieben hatte. Linde spielte bei dem Stück den Bass. Erwähnenswert auch die hochangesehenen Studiomusiker Richard Bowden, Ed Black und Mickey Gee, mit denen Clayton seinen Song "Ladies Love Oulaws", den späteren Hit für Waylon Jennings, einspielte.

Für die restlichen Songs des Albums buchte Clayton die damals besten Studiomusiker in Nashville, zu denen etwa der Pedal Steel-Spieler Lloyd Green, der Gitarrist Reggie Young, der Schlagzeuger Kenny Malone, der Pianist Bobby Woods und der spätere Bassist in Lonnie Mack's Band Tim Drummond gehörte. Als Gastmusiker spielten unter anderem Chip Young, Bobby Ogden, Bobby Thompson, Shane Kestler, Mike Leech und Johnny Christopher, Jerry Shook und Buddy Spicher auf, zumeist für einzelne Songs oder für ganz bestimmte instrumentale Parts bei einzelnen Titeln. Aufgenommen wurde das Album von Chip Young, der es auch produzierte. Insbesondere das Foto von Lee Clayton auf dem Plattencover, von Jim Marshall fotografiert, erzielte eine überaus deckungsgleiche optische Wirkung zum auf der Platte Gebotenen: Lee Clayton, der 'Lonesome Cowboy', der Romantiker und Naturfreak, der ohne jeglichen Gimmicks auskommt und dem traditionellen Songwriting verpflichtet ist. Das passt ganz formidabel und erzielt seine optische Wirkung tatsächlich auch heute noch.

Was mit seinem Debutalbum so hoffnungsfroh begann, konnte sich leider kommerziell kaum auswirken, weshalb Lee Clayton später immer mehr den Gang ins Tonstudio scheute, zumal für eigene Werke. Die paar wenigen Platten, die er dann trotzdem eingespielt hat, wurden fast alle zu Klassikern unter Insidern - Geheimtipps unter Kennern, wie gute Weinsorten, die kaum Jemand kennt und von denen es nur Wenige zu kaufen gibt. 1978 kam sein Album "Border Affair" auf dem Markt, das zwar bei den Kritikern höchstes Lob erntete, aber von den Käufern so gut wie ignoriert wurde. 1979 erschien dann seine erfolgreichste LP "Naked Child". Bei dieser Produktion war auch Klaus Voormann als Bassist beteiligt, deren bekanntestes Stück "I Ride Alone" in einem Stil vorgetragen wurde, der sehr an Bob Dylan erinnerte. So schrieb beispielsweise damals ein Kritiker des Berliner Stadtmagazins tip "Clayton klingt so wie Dylan klingen müsste, wenn er noch wie Dylan klingen wollte". 1979 ging Lee Clayton auf eine ausgedehnte Welttournee, die ihn 1980 auch nach Deutschland brachte, wo unter anderem ein 30-minütiges TV-Special beim WDR-Rockpalast entstand.

1981 veröffentlichte Clayton das Werk "The Dream Goes On", das für lange Zeit sein letztes Album blieb. In den 80er Jahren brachte er zwei autobiografische Bücher heraus. Erst 1990 erschien eine neue Live-CD mit dem Titel "Another Night", die in Oslo aufgenommen wurde. Seither ist es still um Lee Clayton geworden. 2010 veröffentlichte er auf verschiedenen Download-Plattformen acht bisher nicht bekannte Songs, darunter auch "We The People", zu dem auf YouTube auch ein Video existiert. Im Februar 2013 erschien sein E-Book "The Streets Of Nashville: The Little Book", eine Sammlung von Songtexten, Gedichten und Texten dieses mehr oder weniger bis heute als grosser Geheimtipp gehandelten Musikers.




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