May 22, 2017


VIDA BLUE - The Illustrated Band (When Records WENDP215, 2003)

Eher bekannt geworden als ein sogenanntes 'Side Project' der legendären amerikanischen Jam-Band Phish, handelt es sich um Vida Blue eigentlich nicht um ein Side Project im herkömmlichen Sinne, und auch unter Soloalbum kann man es nicht ablegen, denn von der Band Phish lancierten das Projekt Vida Blue gleich drei Mitglieder, nämlich der Phish Keyboarder Page McConnell, der Bassist Oteil Burbridge und deren Schlagzeuger Russell Batiste. "The Illustrated Band" war das zweite Album dieses Nebenprojekts, für das sich die Musiker das Bandpseudonym Vida Blue zugelegt hatten, wohl in Anlehnung an den ehemaligen berühmten amerikanischen Baseball-Pitcher Vida Rochelle Blue Jr. von der US-Baseball Major League. Das Besondere an dieser Platte war, dass sich die drei Musiker der Gruppe Phish auf die unterschiedlichsten musikalischen Stilverbindungen einigen konnten, und dabei keinerlei Scheuklappen zeigten. Der Miteinbezug der mit einer Grammy-Auszeichnung gewürdigten afrokubanischen Gruppe The Spam Allstars in das Projekt "The Illustrated Band" sorgte einerseits für ein unbändiges Latino-Feuer, aber auch für bisweilen sehr jazzige Elemente, vor allem aber präsentierte dieses Spam Allstars-Feuerwerk einen unverschämt lockeren und extrem im tanzbaren Funkjazz verankerten Groove. Vor allem der DJ Spam mit seinen Turntables sorgte dazu auch noch für einen überaus modernen Touch, indem er mit seinen Samples und seinen Loops wohldosiert in die Rhythmik des Geschehens einwirken konnte, um den ohnehin schon anmachend packenden Grundgroove unterstützend noch zusätzlich aufzuwerten und extrem tanzbar zu machen.

Das in seiner musikalischen Ausrichtung etwas dem Afro-Kubanischen Sound verpflichtete Werk wirkte neben der relativ jazzigen Grundausrichtung auch sehr rhythmisch. Der Hauptfokus lag eindeutig beim Groove, weniger bei den auskomponierten Strukturen - freie Flächen des Jammens waren soundbestimmend, wodurch den insgesamt nur vier Titeln des Albums bis auf eine Ausnahme ("You Don't Know") Songlängen weit jenseits der üblichen Marken zugesprochen wurden: Der Opener, das dem Album den Titel gebende "The Illustrated Band" war mit seinen knapp 12 1/2 Minuten ein Groovemonster im wahrsten Sinne des Wortes. Insbesondere die Perkussionsinstrumente, gespielt von Lazaro Alfonso und Tomas Diaz sorgten hier von Beginn des Albums weg für ein entsprechendes, vom Latin beeinflusstes Rhythmusfeuerwerk. Auch Russel Batiste, der hauptberuflich als Schlagzeuger bei den Funky Meters spielt, leistete einen entsprechenden Beitrag mit einer glanzvoll rhythmischen Leistung.

"Charmpit" mit seinen 24 Minuten Lauflänge war der längste der vier Songs auf diesme Album. Hier wurde die Melodieführung gleich noch einmal zurückgenommen, stärker noch als beim Titelstück überwiegte als Hauptsong-Komponente hier der reine Groove, der dank der langen Laufzeit vor allem auch recht abwechslungsreich geriet und von allen vier Titeln eindeutig die jazzigsten Passagen abbekam. Völlig abgehoben und songverloren wurde hier ein Rhythmik-Konstrukt präsentiert, das den reinen Groove zum reinen Selbstzweck stilisierte: Tanzen um des Tanzens willen. Dabei gerieten hier auch allerlei psychedelische und schräge Komponenten ins Räderwerk, die allerdings keineswegs als dumpfe Effekte bezeichnet werden konnten. Eher fuhr die Band hier ein 'Special Effects'-Arsenal auf, das die 24 Minuten äusserst unterhaltsam behielten, bis zum Schluss-Finale. Einzelne Samples waren so geschickt in das Grundgerüst des Jams hineingeflochten, dass es fast schon gestört hätte, wären sie nicht vorhanden gewesen. Insbesondere "Charmpit" klang wie eine nach aussen auf die Strasse dringende Beschallung eines muffigen, von Zigarrenrauch geschwängerten Lokals inmitten von Havana.

Mit dem ebenfalls die 20 Minuten-Marke sprengenden "Little Miami (Reputation)" setzte neben Projektleiter Page McConnell auch der Spam Allstars-Musiker Andrew Yeomanson bemerkenswerte stilistische Akzente. Hier erfuhr das typische kubanische Lebensgefühl noch einmal eine leichte Steigerung. Yeomanson, der auch bekannt ist unter dem Namen DJ Le Spam, und als Scratcher und Samples-Spezialist auch schon die Musikerin Shakira mit Effekten ausgestattet hatte, brachte hier in diesem Jam relativ viele DJ-Elemente in den Grundsound mit ein, sodass hier neben dem typischen kubanischen Flair auch sehr modern wirkende Sounds beispielsweise aus der Dance-Szene zum tragen kamen. Trotzdem war auch hier die musikalische Grundausrichtung deutlich beim Jazz angesiedelt. Wem also der mit leichtem Jazzeinschlag versehene Jam-Sound gefällt, und wer gleichzeitig die Rhythmik des schwitzig-flirrenden Kuba, inklusive der entsprechenden Lebensfreude mag, der kommt an Vida Blue kaum vorbei.

Der Bassist Oteil Burbridge (The Allman Brothers, The Aquarium Rescue Unit) spielte mit seinem Bass hervorragende Soloparts und gab dem Rhythmus-Feuerwerk den nötigen Druck. Der Phish-Keyboarder Page McConnell, Hauptakteur und Kopf von Vida Blue, sorgte mit flächendeckenden Keyboard-Spuren für ein modernes Erscheinungsbild, während die Spam Allstars mitt ihrem fulminanten Mix aus hervorragenden Bläsersätzen, ihrem Latin Funk und ihren zumeist improvisierten elektronsichen Spielereien mit Turntables und Elementen des Hip Hop und des klassischen Dub die soundbestimmenden Effekte hinzufügten. Hervorragend waren auch die Darbietungen von Mercedes Abal an der Flöte, John Speck an der Trombone und AJ Hill am Saxophon. Die Platte wurde vom hervorragenden Tontechniker John Merchant eingespielt, zu dessen weltberühmter Kundschaft unter anderem die Bee Gees, Barbara Streisand oder Celine Dion zählen; und von Fred Kevorkian gemastert, der auch für Phish, Cassandra Wilson, Sonic Youth und Pharoah Sanders gearbeitet hat, nebst unzähligen anderen. Zwei äusserst erfahrene und prominente Techniker, die bei diesem Album einen absolut brillianten Studiojob geleistet hatten, denn das Werk "The Illustrated Band" war auch in klanglicher Hinsicht ein absolutes Highlight.

Die Afro-Kubanische Band The Spam Allstars wurde mit einem Grammy ausgezeichnet als eine der besten Rhythmusgruppen in Amerika. Sie tourten mit Vida Blue auch zusammen im Jahr der Veröffentlichung von "The Illustrated Band". Page McConnell zog sich danach allerdings aus dem Musikgeschäft zurück, später löste sich auch seine Stammband Phish auf. Mit diesem Split der Hauptband verlor McConnell auch das Interesse an Vida Blue. Die Band, die zu keinem Zeitpunkt wie ein Nebenprojekt einer Band (Phish) wirkte, sondern absolut eigenständig eine Sound-Mélange vom allerfeinsten bot, gehört vielleicht zum Besten, mit Sicherheit aber zum Groovigsten, was man innerhalb des sogenannten 'Jam Band-Sounds' finden kann. Schade, dass das Projekt schon nach zwei Alben gestorben war.



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