PATTO - Patto (Vertigo Records 6360 016, 1970)
Mike Patto, mit bürgerlichem Namen Michael Thomas McCarthy, wurde am 22. September 1942 in Cirencester Gloucestershire, England geboren. Bekanntheit erlangte er letztlich durch sein Engagement als Sänger bei der Gruppe Spooky Tooth und seiner letzten Band Boxer. Begonnen hatte er seine Karriere allerdings bereits tief in den 60er Jahren, als er mit seiner ersten Band The Bo Street Runners einen Auftritt im Fernsehen absolvierte und dabei den ersten Platz in einem Talentwettbewerb, betitelt "Ready Steady Win" belegen konnte. Mike Patto war ausserdem auch Mitglied der relativ bekannten Band Timebox, seiner eigenen Band Patto und der Gruppe Dick And The Firemen. Erst 1974, als es um die populäre Gruppe Spooky Tooth längst nicht mehr zum besten stand, stieg Mike Patto dort als Sänger ein, konnte jedoch nicht mehr erfolgreich mit dieser Gruppe musizieren, die sich eigentlich bereits in Auflösung befand. Er versuchte sich bei Spooky Tooth als Sänger und Keyboarder. Danach wurde er eines der Gründungsmitglieder von Boxer, die es immerhin auf einige LP-Veröffentlichungen beim Label Virgin Records schafften, aber kommerziell ebenfalls kaum erfolgreich waren. Unter dem Strich war Mike Patto also ein klassischer Fall von Genie, das nicht entdeckt wurde, oder wie immer man ihn auch bezeichnen könnte. Er war auf jeden Fall ein extrem guter Musiker, der wohl nur an den ganz grossen Chancen vorbeigelaufen war. Eine tragische Figur im grossen Rock'n'Roll Zirkus.
Manches bedarf aber vielleicht einfach auch einer längeren Reifezeit, um für den, den es etwas angeht, erst zu taugen, etwa wie eine gute Flasche Rotwein vielleicht. 1970 auf dem legendären Vertigo Swirl Label erschienen, wurde die LP eingerahmt von lauter zeitgleich erschienenen seltsamen Vertigo Bluesrock-Aufnahmen: dem Doom-Blues von Black Sabbath, dem bluesigen Orgelrock von Uriah Heep, dem Jazz-Blues des sich neu orientierenden Manfred Mann (die "Chapter Three" Phase), dem zappaesk angehauchten Blues von Juicy Lucy, oder auch dem bisweilen recht hardrockigen Blues ver Gruppe Mayblitz: Alles klasse Bands, die damals auf Vertigo Swirl einen bluesigen Nachgeschmack hatten - bei aller Progressivität versteht sich. Die Band Patto, bestehend aus dem brillianten Sänger Mike Patto, dem tollen Schlagzeuger John Halsey und dem nicht minder talentierten Bassisten Clive Griffith, die beide völlig gleichberechtigt neben Ollie Halsall's Gitarre und Vibraphon einen, wie man lange meinte, Cream-typischen Trio Power-Bluesrock kredenzten, machten im Grunde alles richtig: Die Qualität des Songwritings, die Kompetenz und das Können der Musiker und nicht zuletzt auch das Stimmorgan von Mike Patto konnten vielen anderen Bands jener Tage, die wesentlich erfolgreicher unterwegs waren, locker das Wasser reichen.
Dennoch liessen sich die neu formierten Patto nicht so leicht in die progressive Ecke drängen, denn ihre musikalische Mixtur war wesentlich greifbarer, bodenständiger und stärker im Bluesrock verhaftet als so manche, oft eher fast schon losgelöste progressive Rockband in jenen Tagen. Patto konnten die stilistische Offenheit zwar genauso kolportieren wie die angesagten Progbands, aber sie waren wesentlich trittfester auf dem Boden geblieben als ihre manchmal leicht abgehobenen Brüder im Geiste. Ihre Musik war nicht geprägt von allerlei exotischem Instrumentarium, wie beispielsweise den damals üblichen Keyboard-Burgen oder synthetischen Herausforderungen aus wobbelnden Generatoren und ähnlichem, vielmehr zelebrierten sie eine ganz eigene Variante von Freiheit derer Fusion aus allem, was damals interessant erschien: Jazz, Blues und Heavy Metal, der wohl da noch gar nich erfunden worden war. Die Trendsetter im Geiste hiessen bei Patto in etwa Tony Williams' Lifetime, Miles Davis (Phase "Bitches Brew") oder eben Cream, Mountain und weitere, eher erdige harte Rock Acts.
Das Bluesschema wurde bei Patto allerdings ziemlich konsequent beibehalten, selbst wenn es schwierig wurde, noch eine eindeutige Metrenzahl Song für Song festzustellen. Die Gitarre von Ollie Halsall zeigte oftmals Aneinanderreihungen von Splittern statt Harmonien oder gar durchstrukturierten Melodien. Die Instrumentalstimmen wiederum standen eher in Konkurrenz zueinander, agierten gleichrangig, nebeneinander und miteinander, eher eine durchgedrehte, dabei hochkomplexe Blues-Impovisation, als ein Gewebe, auf dem sich der Blues der Stimme Patto's entwickeln konnte. Kam auch noch das Vibraphon hinzu, die Gitarre ersetzend, veränderte sich dieses Konzept trotzdem nicht: Alles blieb lose und frei, und dennoch stets irgendwie beisammen. Das war letztlich immer noch eine Art von Blues - auch wenn er in den Gehörgängen von Vielen wohl bis heute als unangenehm empfunden wird, weil er immer wieder widerspenstig, rauh und unharmonisch daherrollt. Früher nannte man das durchaus progressiv, oder auch schräg. Ich persönlich würde es unbedingt als eigenständig bezeichnen, und dadurch wirkt diese Platte, wie auch die Alben, die noch folgen sollten, extrem wiedererkennbar und hochklassig zugleich.
Die Original-LP von 1970 kam einem klangtechnischen Offenbarungseid gleich, ganz im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Aufnahmen desselben Jahres, wie zum Beispiel Taste's Album "On The Boards". Doch genau dieser von Zigarettenrauch geschwängerte bluesige Grundcharakter gehörte, von Muff Winwood produziert, wohl auch zum Gesamtkonzept der ersten Patto-Aufnahme, lehnte sich eben auch in diesem Punkt an Lifetime an: Nichts sollte hier schön klingen. Das bewirkte letztlich nichts Anderes, als dass es hier wieder eines dieser Alben gab, die man sich von Anfang bis zum letzten Akkord anhören konnte, ohne je das Gefühl zu haben, man müsse sich - bei all den stilistischen Spielereien! - jemals umorientieren. Die ganze Platte verfügte über einen märchenhaften Flow, sie war kein hin- und hergerissen werden zwischen den Stühlen, sie hielt immer zusammen, obwohl sie wieder und wieder fast auseinanderbrach. Grosses und spannendes Ohrenkino! Die Platte war auf jeden Fall eine der besten unbekannten LPs der frühen 70er Jahre.
Herausragend neben Mike Patto am Mikrophon und einem unglaublich guten und äusserst dynamischen Gruppensound war der Gitarrist Ollie Halsall, der auch an den Keyboards und am Vibraphon erstklassig war. Halsall: ein leider unter tragischen Umständen verstorbener Virtuose, der mühelos in einer Liga mit zum Beispiel Allan Holdsworth spielen konnte. Ungewöhnlich waren auch die Arragements der einzelnen Songs, von bluesrockig bis freejazzig waren viele verschiedene Stimmungsbögen vorhanden,stets zusammengehalten von Halsall's Gitarre und Patto's markantem Gesang. Die Platte war zum Zeitpunkt ihres Erscheinens völlig untergegangen, weil damals härtere Sounds wesentlich erfolgreicher waren: Es war die Zeit der kommerziellen Höhenflüge von Deep Purple, Led Zeppelin, Black Sabbath und so weiter. Nichtsdestotrotz lohnt sich es sich, dieses Meisterwerk für sich zu entdecken, auch heute klingt es noch immer total zeitlos und äusserst kraftvoll. Auch die zweite Patto LP, die ein Jahr später veröffentlichte "Hold Your Fire" ist absolut hörenswert und steht Patto's Debutalbum in nichts nach.
Die britische Plattenfirma Cherry Red Records und deren Unterlabel Esoteric Recordings haben ein Agreement treffen können mit den Rechteinhabern der Alben von Patto (John Halsey, Clive Griffiths und die Vertreter der verstorbenen Musiker Mike Patto und Ollie Halsall), um offizielle CD Ausgaben aller Alben von Patto möglich zu machen, welche die Gruppe um Mike Patto zwischen 1970 und 1973 veröffentlicht hat. Die vier Wiederveröffentlichungen werden alle neu remastert und sind mit üppigen Booklets und der kompletten Bandhistorie ausgestattet. Der Journalist Sid Smith interviewte dazu auch das ehemalige Bandmitglied John Halsey. Die Booklets präsentieren ausserdem seltene Fotos und Zeichnungen der Bandmitglieder aus John Halsey's privatem Archiv. Zusätzlich zu den auf den jeweiligen Originalplatten veröffentlichten Songs werden allen vier CDs zusätzliche Performances aus BBC-Auftritten hinzugefügt, alle mit der offiziellen Erlaubnis von BBC und Patto. Sämtliche BBC Radio Sessions sind bis dato nie veröffentlicht worden. Das Debutalbum "Patto" erschien am 28. April 2017 und enthält das bereits auf der remasterten Repertoire Records-CD Version verwendete Stück "Hanging Rope" (ein Outtake der damaligen LP-Sessions) plus die Titel "Love Me" und "Government Man" aus der BBC Radio One "Sounds of the 70s" Session vom 3. November 1970.
Das Folgealbum "Hold Your Fire" erschien ebenfalls am 28. April 2017 und kam als üppig ausgestattete Doppel-CD und präsentierte die beiden ebenfalls schon früher auf der Repertoire Records-Variante veröffentlichten Titel "Beat The Drum" und "Bad News" (Studio-Outtakes) und eine alternative Version von "Air Raid Shelter." Ausserdem kam hier folgendes Zusatzmaterial, das samt und sonders noch nie veröffentlicht wurde und eine ganze zweite CD füllte: Eine alternative Version von "Give It All Away" und eine frühe Version des Titelstücks "Hold Your Fire". Die weiteren Titel "San Antone", "Government Man", "Beat The Drum", "Sittin’ Back Easy" und "So Cold" von der BBC Radio One "In Concert" Session vom 4. März 1971 waren bis dato ebenfalls nicht veröffentlicht worden. Zusätzlich kamen noch die Stücke "Give It All Away", "Air Raid Shelter" und "You, You Point Your Finger" von der BBC Radio One "Sounds of the 70s" Session vom 28. Juni 1971.
Die dritte, damals auf Island Records erschienene Platte "Roll 'Em, Smoke 'Em, Put Another Line Out" erscheint gar zum allererstenmal überhaupt offiziell auf CD, natürlich ebenfalls remastered und mit Bonustracks. Erscheinungsdatum: 26. Mai 2017. Die CD enthält ebenfalls drei Songs aus einer BBC Session, und zwar "General Custer", "Flat Footed Woman" und "Singing The Blues On Reds" von der BBC Radio One John Peel Session am 24. Januar 1973. Schliesslich das offiziell nie veröffentlichte vierte Album mit dem Titel "Monkey's Bum", das 1973 für nicht veröffentlichungswürdig gehalten wurde von Island Records. Diese CD überrascht vor allem dadurch, dass tatsächlich toll klingende Masters gefunden worden sind, die für diese Remaster-Ausgabe Verwendung fanden. Die Platte gab es bislang nur als mehr schlecht als recht klingende Bootlegs. Zusätzlich zu den damals geplanten Songs der Platte gibt es hier mit den drei Titeln "San Antone", "Holy Toledo" und "Loud Green Song" von der BBC Radio One John Peel Session am 12. Februar 1973 Aufnahmen, die John Halsey zu den besten Live-Performances der Gruppe Patto zählt.
Offizielle Diskographie:
"Patto" (Vertigo 6360 016), Dezember 1970
"Hold Your Fire" (Vertigo 6360 032), Dezember 1971
"Roll ‘Em Smoke ‘Em Put Another Line Out", (Island ILPS 9210), Oktober 1972
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