May 29, 2017


COLD BLOOD - First Taste Of Sin (Reprise Records MS 2074, 1972)

Wenn man sich einmal etwas tiefgreifender mit der Geschichte des Rock'n'Roll beschäftigt, so stellt man irgendwann fest, dass es eine Menge der besten und kreativsten Bands in den 60er und 70er Jahren gab, die ihre Heimat in San Francisco und der Bay Aera hatten. Während San Francisco beispielsweise als der weltweit wohl wichtigste Nährboden der psychedelischen Musik gilt, welcher auch die sogenannte Height Ashbury Szene bedeutete, trafen hier in diesem einmaligen Schmelztiegel schon zu Mitte der 60er Jahre eigentlich unvereinbare Musikstile aufeinander, prallten nicht zusammen, sondern gingen eigentümliche Symbiosen ein, die vor keiner Schublade halt machten. So konnten Jazz und Pop, Blues und Rock und nicht zuletzt das typische Westcoast-Lebensgefühl in immer wieder sich verändernden und innovativen Verbindungen zu aussergewöhnlichen Klang- und Soundkreationen gedeihen, die zunächst den Oberbegriff Freak-, dann Psychedelik- und schliesslich Underground-Rock verpasst erhielten. Richtig war dabei vielleicht sowohl nichts, wie alles, denn was da an Musik teilweise entstand, konnte noch gar nicht richtig klassifiziert werden. Selbst vermeintlich viel zu unterschiedliche E- und U-Musiker gingen Kollaborationen ein, fanden sich irgendwo im musikalischen Improvisationsgemenge, oder definierten aussergewöhnliche neue Soundskulpturen, an denen in der Folge von allerlei Musikern gebastelt wurde, seien dies Pop-, Rock-, Soul-, Jazz- oder auch Folkmusiker.

Besonders die ausgedehnten Jams etwa der Bands Grateful Dead oder Quicksilver Messenger Service, stilistisch völlig freie DJs wie Tom Donahue, der den Begriff Underground als einer der ersten für sein Programm definierte und Abe "Voco" Kesh, der den Hip Soul mit dem psychedelischen Jam-Sound vermischte, standen als frühe Vertreter dieser musikalischen Aufbruchstimmung an der amerikanischen Westküste. Auch Sylvester Stewart, besser bekannt unter dem Künstlernamen Sly Stone, war ein angesehener Bay Aera  und Plattenproduzent, der von dieser neuen Szene angetan war. Latin Musik war bereits bekannt und Bands wie die frühen Santana, Tower Of Power und Malo folgten diesem neuen musikalischen Gesamtverständnis ebenso barrierenfrei wie ihre Kollegen aus der Rockmusik. Eine der damals besten Bands, die es hervorragend verstand, die Kraft des Rhythm'n'Blues mit der Hippieästhetik und dem neuen Freiheitsgefühl zu vereinen, war die legendäre Bay Aera Gruppe Cold Blood. Mit dem populären Produzenten und Mentor Bill Graham (The Fillmore) als Unterstützer und Förderer im Rücken, standen Cold Blood bald mit an der Spitze der populärsten Bay Aera Bands.

The Fillmore Auditorium war das Epizentrum des San Francisco Rock, es gab keinen besseren Ort, um eine grossartige Band live erleben zu können. Manche Shows dauerten die ganze Nacht lang, und an diesen Happenings waren zumeist mehrere angesagt Jam- und Psychedelic-Bands gleichzeitig zu sehen und zu hören, was das Fillmore innert kürzester Zeit weitherum bekannt machte. Cold Blood veröffentlichten ihreersten beiden Platten denn auch auf Bill Graham's eigenem Plattenlabel San Francisco Records. 1969 erschien das Debutalbum "Cold Blood" und 1970 dann das zweite Werk "Sisyphus". Für Letzteres holte sich die Band den Tontechniker Fred Catero, der für Santana arbeitete. Schon diese ersten beiden Alben zeigten eine Band, die kraftvolle Grooves und rhythmische Feuerwerke am laufenden Band zünden konnten. Cold Blood boten eine hervorragende Kombination aus tollen eigenen Songs, exzellenten Coverversionen und der powervollen Stimme der attraktiven Sängerin Lydia Pense. Mit einem Wechsel von Bill Graham's Plattenlabel zu Reprise Records, sowie einem neuen Band-Management ausgestattet, präsentierte die Gruppe ihr drittes Album "First Taste Of Sin", das auch einige Wechsel in der Bandbesetzung zeigte.

Cold Blood waren zu jenem Zeitpunkt bereits ein langjährig eingespieltes Unternehmen geworden, die Band hatte inzwischen in ganz Amerika viele Fans und war guter Dinge, dass auch dieses dritte Album wiederum erfolgreich werden und ihre Karriere weiter vorantreiben würde. Dies sollte aber leider nicht der Fall sein. Die Verkaufszahlen ihrer Alben stagnierten, und ganz besonders dieses dritte Album verkaufte sich, verglichen mit den beiden ersten Werken, eher schlecht. Ob es an den Personalveränderungen innerhalb der Band gelegen hat, ist fragwürdig, denn ihre Musik war immer noch genauso spannend und begeisternd wie auf den beiden Alben zuvor. Gitarrist und Gründungsmitglied Larry Field war der prominenteste Ausstieg aus der Gruppe, während das Unternehmen noch immer von Sängerin Lydia Pense angeführt wurde. Sie hatte sich inzwischen einen festen Platz als Rockröhre neben Janis Joplin gesichert, mit der sie öfters verglichen wurde. Ihre Stimme hatte unheimlich viel Soul in sich, weshalb es nicht sonderlich erstaunt, dass sich Cold Blood als Produzenten für ihr drittes Album "First Taste Of Sin" den populären Soulmusiker Donny Hathaway holten.

Hathaway hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon einen guten Ruf erschaffen, und zwar sowohl als Sänger, der unter anderem mit Aretha Franklin zusammenarbeitete, wie auch als Produzent und Songschreiber für Curtis Mayfield, Jerry Butler und The Impressions. Seiner Reputation und der Verbindung zu Atlantic Records ist es zu verdanken, dass aus "First Taste Of Sin" ein warm klingendes, hochmelodisches und vor allem exzellend groovendes Album wurde, das zu einem sophisticatem Gemisch aus Rhythm'n'Blues und Rock geriet, das ungemein modern klang, auch wesentlich differenzierter und mit mehr leiseren Passagen ausgestattet war. Der Soulstyle von Donny Hathaway tat der Band gut. Hathaway steuerte gleich auch zwei bemerkenswerte Kompositionen zu dem Album bei, nämlich den Slow Blues "You Had To Know", eine Steilvorlage vor allem für Lydia Pense's beeindruckende Stimme, sowie die Nummer "Valdez In The Country", das Hathaway später auch selber noch aufnahm und veröffentlichte. Ausserdem mengte er dem Album sein wohlklingendes Gospel-ähnliches Piano bei und gab manchen Songs mit seinem jazzigen Orgelspiel den entscheidenden Schliff.

Die Band erweiterte sich um die beiden altgedienten Bay Aera-Musiker Coke und Pete Escovedo an den Congas, Timbales und verschiedenen weiteren Perkussionsinstrumenten. Ihre Polyrhythmen gaben den Songs unheimlich viel Tanzbarkeit und Groove. Auch die Bläsergruppe, insbesondere der Jazz-Tenorsaxophonist Peter Christlieb, ein Langzeitmitglied in Doc Severensen's Tonight Show Band, war als Sessionmusiker sehr gefragt und sorgte für die entscheidenden jazzigen Akzente auf dem Album. Erstaunlich gut geriet dadurch die Covernummer "Lo And Behold" aus der Feder von James Taylor, aus welcher Cold Blood eine herzhaft kernig klingende Soulrock-Version kredenzten, die ziemlich weit weg vom Original war. "First Taste Of Sin" war ganz klar das Album, das Cold Blood als Höhepunkt ihrer Karriere feiern konnten, weil hier dank der Wahl des Produzenten Donny Hathaway, sowie dem Zuzug von Sessionmusikern und einer kompetenten Bläsersektion einfach rundum alles stimmte. Cold Blood spielten in den folgenden Jahren noch drei weitere Alben ein, die jedoch stetig weniger Stückzahlen verkauften. Es folgte 1973 das Album "Thriller" und 1974 das Werk "Lydia", beide keinen Deut schlechter als "First Taste Of Sin". Erst 1976, dem Jahr, in welchem sich Cold Blood dann trennten, kam mit dem finalen Album "Lydia Pense And Cold Blood" ein vom sehr bekannten Gitarristen und Songschreiber Steve Cropper produziertes Werk auf den Markt, das auf ABC Records erschien, das vermutlich dem inzwischen populär gewordenen Phillysound zum Opfer fiel.










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