NEIL YOUNG & CRAZY HORSE - Americana (Reprise Records 531195-1, 2012)
"Americana" is a collection of classic, American folk songs. In their day, some of these may have been referred to as "protest songs", "murder ballads", or campfire-type songs passed down with universal, relatable tales for everyman."
So stand es in den New York Times. Die Vorfreude auf die Reunion der legendären Band Crazy Horse, mit welcher Neil Young einige seiner stärksten Alben eingespielt hatte, hielt sich stellenweise aber eher in Grenzen. Genauer gesagt: Die Euphorie über die Rückkehr von Crazy Horse nach fast 10 Jahren (auf dem 2003 erschienen "Greendale" spielte Frank Sampedro ja nur quasi als Gastmusiker mit) wurde durch die Information, man würde altes amerikanisches Liedgut neu vertonen, einigermassen gebremst. Kann Neil Young nicht vielleicht einfach mal wieder eine ganz normale Platte mit Crazy Horse machen, so wie "Zuma" oder wenigstens "Ragged Glory" ? So raunte es durch die Reihen der Fans, von denen einige im Laufe der Jahre im Entsagen reich, im Ertragen stark und in der Arbeit unermüdlich geworden waren: Man hatte eine Menge Alben von Neil Young an sich vorüberziehen lassen, die irgendwie nicht so richtig begeistern wollten. Die Sehnsucht nach neuen Klassikern blieb unerfüllt. In dieser Hinsicht, und diese Aussage ist natürlich ein wenig übers Knie gebrochen, stellte "Americana" eine Ausnahme dar, denn auf diesem Werk gab es ausschliesslich Klassiker zu hören. Wenn man so will. Das Album war auf jeden Fall eine grosse Ueberraschung.
Aber was nützte letztlich irgendwelcher Hoffnungsglaube ? Musiker, ja Legenden oder auch Ikonen wie Neil Young konnten und können sich letztlich alles erlauben, sie geniessen die absolute künstlerische Freiheit, und irgendwie ist das auch gut so, denn dann kann man in die Seele des Künstlers schauen, die ungefiltert auf eine Platte transportiert wird, sagen wir mal meistens zumindest. Neil Young kann auch aller Welt via Internet erzählen, dass man auf einer CD nur gerade 5% des originalen Sounds, wie er im Studio entstanden ist, zu hören bekommt, mit der Blu-Ray aber 100%. Da muss man sich als Musikfan schon fast klein und mickrig fühlen, dass man nicht wenigstens das Vinyl gekauft hat. Auch so ein absolut typischer 'Youngismus', mit dem man seit Jahrzehnten leben muss. Bob Dylan zum Beispiel kann sich auch erlauben, wie eine alte Frau in Frack und Fliege auszusehen, während US-Präsident Barack Obama ihm den Freiheitsorden um den Hals bindet. Bob Dylan kann sich sogar erlauben, während der gesamten Zeremonie eine Sonnenbrille zu tragen, was aber vermutlich auch nötig ist, um die Absurdität der Situation zu ertragen. Ich meine, wie ist das eigentlich, wenn man da steht und Bob Dylan ist, und der Präsident der Vereinigten Staaten erzählt, dass er in seiner Studentenzeit auch gerne Bob Dylan gehört hat ? Und nun, da er den Literatur Nobelpreis erhalten hat, taucht er sogar ganz ab. Aber egal, es geht hier ja um Neil Young, auch wenn der im Grunde ähnlich verstörende Marotten an den Tag legt.
Warum der Hinweis auf Bob Dylan ? Nun, Dylan veröffentlichte 1992 und 1993 mit "Good As I Been To You" und "World Gone Wrong" ebenfalls zwei Alben mit amerikanischen Folk Songs und Traditionals. Die Originale kennen sicherlich eine ganze Menge Leute, die in der Materie so richtig bewandert sind, und da knüpft Young's Werk "Americana" an. Verglichen mit Dylan's Roots-bewusster Bohemienhaftigkeit war Neil Young schon immer der Mann fürs Grobe, und im Musikunterricht am Gymnasium musste man schon mal "Tom Doley" singen, respektive "Tom Dula", wie dieser womöglich unschuldig gehängte Frauenmörder eigentlich hiess und wie Neil Young & Crazy Horse ihre hingegröhlte Schnodderversion betitelt haben. Insofern ist "Americana" also eher mit Dylan's Weihnachtsplatte von vor ein paar Jahren zu vergleichen, aber diesen Vergleich möge man bitte sofort wieder vergessen.
"Americana" kann man eigentlich auch als Neil Young's Statement zu Amerika's Problemen und einem so empfundenen Niedergang verstehen. Während Bruce Springsteen dazu mit schöner Regelmässigkeit bittere Bestandsaufnahme liefert (was man machen kann), beschwört Neil Young mit der demonstrativen Rückbesinnung auf ursprüngliche amerikanische Werte und Tugenden wie etwa Freiheit, Freiheit und Freiheit einen Geist, dessen Wiederauferstehung Amerika aus seiner Sicht gut tun würde. Solche Anwandlungen bekommen bei ihm ja schnell den etwas holzschnitthaften Charakter biederer Romantizismen in der Art von "Unsere kleine Farm", und man kriegt gleich wieder Angst, dass er als nächstes "Hawks & Doves II" macht oder etwas ähnlich Fürchterliches.
Neil Young spannt also einen Bogen von den Ursprüngen weisser amerikanischer Geschichte zur Gegenwart. Gleichzeitig stellt er aber auch Bezüge zwischen weit voneinander entfernt liegenden Stationen seiner eigenen muikalischen Biographie her. Auf seinem Album "Le Noise" (2010) selbstzitierte er schon einen kompletten Refrain von "Like An Inca" aus dem Jahre 1982. Dass die Arrangements von "Tom Dula" und "High Flyin' Bird" auf den 1964 von Neil Young's Jugendcombo The Squires gespielten Versionen basieren, passt wunderbar dazu. Und es geht noch weiter: 1964 veröffentlichte eine Band mit dem ganz schön hemdsärmeligen Namen "The Company" eine Aufnahme dieses Songs, und der Sänger hiess Stephen Stills. Und der wiederum singt auf der "Americana"-Version von "This Land Is Your Land" mit. Seine Woody Guthrie-Hausaufgaben hat er also gemacht, der Alte; und "Gallows Pole" bezieht sich auf die Interpretation der mächtigen Folk-Frau Odetta Holmes. In Scorsese's "No Direction Home" konnte man Filmaufnahmen von Odetta sehen und musste ganz einfach beeindruckt sein. By the way: Ein Dylan-Cover hätte gut in diese Reihe gepasst, aber sowas wünschen sich auch nur nah am Wasser gebaute Sentimentalisten wie ich. Die Sorte Menschen, die heimlich immer noch auf ein neues "After The Goldrush" warten.
Das ist bis jetzt bestimmt alles ganz interessant. Aber was ist nun so hervorragend an "Americana" ? Natürlich, dass man Crazy Horse nach langer Abstinenz wieder zu hören bekam und dass sie ganz offensichtlich hervorragend beieinander waren. Billy Talbot musste lange nicht mehr so viele Töne auf einmal spielen wie in "Travel On", und er bekam das perfekt hin. Das sind, egal wessen Song gerade gespielt wurde, die Höhepunkte auf "Americana": Wenn Crazy Horse plötzlich wieder so klangen wie etwa auf "Motor City", einer im Jahre 1981veröffentlichten Patriotenhymne über die Verdienste der amerikanischen Automobil-Industrie; oder wie auf "F*!#in' Up" von 1990, an das man beim anhören von "Jesus Chariot" denken musste, einer Nummer, bei der die Verrockung einer alten Kamelle mal hervorragend funktioniert. Kann man "Spielfreude" auch als eine dieser amerikanischen Angewohnheiten bezeichnen ? Keine Ahnung, aber "Americana" ist voll davon, so voll, dass in die ausklingenden Gitarren mancher Songenden das Gekicher beglückter alter Säcke hineinkichert, von denen einer sagt, diese Musik würde "very funky" klingen. Neil Young meint "funky" natürlich im Sinne von "erdig" und/oder "schmutzig", und die Schmutzigkeit von Crazy Horse sucht auch über 40 Jahre nach "Everybody Knows This Is Nowhere" ihresgleichen. Man hat über sie gesagt (wie übrigens auch über Dylan, um den einfach noh einmal zu erwähnen), sie würden älter klingen, als sie sind; als würden sie über vorzeitliches Wissen und schamanische Weisheit verfügen. Passen solche Zuschreibungen nicht ganz fantastisch zu den Songs, die sie hier hinzaubern ? Und ist es nicht im Kontext dieser Platte eine fabelhafte Koinzidenz, dass sie heissen wie der legendäre Häuptling der Oglala Lakota Sioux-Indiander aus dem 19. Jahrhundert ?
Das Cover ziert eine Montage mit Schere und Klebstoff auf der Grundlage eines 1908 geschossenen Fotos des Apachen-Häuptlings Geronimo (plus Entourage) am Steuer eines Autos. Über die Originalgesichter wurden junge Konterfeis von Frank Sampedro, Ralph Molina, Billy Talbot und Neil Young geklebt. Dafür gab es Kritik, aber Neil Young wäre wohl einer der Letzten, der ernsthaft das Erbe amerikanischer Ureinwohner ausbeuten würde. Die weiter oben erläuterte Verschränkung zwischen einem Blick in die Vergangenheit der USA und der des Künstlers erscheint einem an dieser Stelle etwas wirr, aber so war es ja immer, wenn er eines dieser Projekte aus dem Boden stampfte. Höhepunkt der Wirren auf dem Werk "Americana": Neil Young und Crazy Horse covern "God Save The Queen" Nein, nicht die berühmt-berüchtigte Single der Sex Pistols, sondern tatsächlich die britische Nationalhymne. Was wollte Neil Young damit andeuten ? Im winzig klein geschriebenen Booklet (ein schön Grosses gab es leider nur, wenn man sich die teure Fan-Edition auf seiner Website bestellte) stand, dass "God Save The Queen" "may have been sung" vor der Erringung der amerikanischen Unabhängigkeit im Jahre 1776. Irgendwie steckt darin die Andeutung, dass "God Save The Queen" ohne diese Ereignisse womöglich heutzutage die Hymne der USA wäre. Aber Hallo! Da hatte Neil Young aber ein heisses Eisen so richtig schön mit beiden Händen fest ergriffen. Neil Young ist Kanadier, und Kanada gehört zum Commonwealth: Outete er sich mit dieser Geste etwa als loyaler Untertan ? Wer weiss.
Und dann ist "Americana" zu Ende. Es ist ein enorm ambitioniertes Werk, eines auch, das im gesamten Schaffen des Neil Young eher eine bescheidene Stellung einnimmt. Das hängt aber vielleicht ein bisschen mit dem Musiker selbst zusammen, der nicht müde wird, Platte um Platte zu produzieren, und eines hat man als Beobachter dieses geschaffigen Künstlers längst verinnerlicht: Kaum ist eine Platte erschienen, gehen bereits die Spekulationen los, was er wohl als Nächstes machen wird. Dazu liefert Neil Young manchmal sogar selbst die entsprechenden Gründe für Spekulationen. Auch eine Art, sich selbst über viele Jahre im Gespräch halten zu können. Allerdings hat er immer gute Musik gemacht, sogar seine vermeintlichen stilistischen Ausrutscher waren im nachhinein betrachtet wichtig. Man muss ja von einem Künstler nie alles mögen, aber bei Neil Young sind die stilistischen Unterschiedlichkeiten sogar ein Markenzeichen. Und das spricht eindeutig für ihn.
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