Oct 10, 2016


DEEP PURPLE - Deep Purple (Harvest Records SHVL 759, 1969)

Deep Purple, die wohl berühmteste Hard Rock Formation der Welt bei den "Alternativen Meisterwerken" ? Klar, warum nicht ? Neben den sattsam bekannten Klassikern der Gruppe wie etwa "In Rock", "Fireball", "Made In Japan" oder "Machine Head" wird oft vergessen, dass vor diesen erfolgreichen Jahren eine Band mit anderem Line-Up schon einige Jahre hervorragende Musik gespielt hat, welche allerdings noch stark die psychedelische Aera der ausgehenden 60er Jahre verkörperte, ehe sie zum harten Rock wechselte. Die dritte LP von Deep Purple trug den schlichten Titel "Deep Purple" und erschien erstmals 1969. Die Platte wurde, wie die beiden Vorgänger, noch von der Besetzung Jon Lord (Orgel), Ian Paice (Schlagzeug), Richtie Blackmore (Gitarre), Rod Evans (Gesang) und Nick Simper (Bass), besser bekannt als Besetzung "Mark I", eingespielt. Es war gleichzeitig auch die letzte Platte in dieser Bandbesetzung. Das Plattencover nach dem Gemälde "Die musikalische Hölle" des niederländischen Malers Hieronymus Bosch liess das Werk zunächst etwas düster erscheinen, aber auch musikalisch liessen die Musiker keinen Zweifel daran, dass die nächste Entwicklung, die von Ritchie Blackmore angestrebte Trendwende zum Hardrock, unmittelbar bevorstand.

Die Songs auf diesem Werk waren sehr trocken produziert, wirkten erstaunlich intensiv und waren gespickt mit vielen musikalischen 60er Jahre Zitaten. Im Januar 1969 stellten Deep Purple ihr drittes Album noch fertig, obwohl es schon abzusehen war, dass es in dieser Formation nicht weitergehen würde. Rod Evans' Stimme passte immer weniger zu dem sich einschleichenden Stilwechsel, der bald Hardrock genannt werden sollte. Der Sänger war auch nicht mehr zufrieden mit dem Sound, den seine Kollegen live spielten. Trotzdem wurde dieses Ende 1968 und im Januar 1969 produzierte Album ein Klassiker und ein geniales Werk, das auch den Flower-Power in England noch einmal eindrücklich widerspiegelte.

Der Hardrock, den Deep Purple anschliessend in veränderter Bandbesetzung entwickeln sollten, war hier bereits mehr als eine Ahnung, er stand bereits massiv im Raum, in Form von verhärteten Bluesstücken wie etwa "The Painter" oder "Why Didn't Rosemary ?", in welchen Jon Lord auf seiner Hammond Orgel bereits dominante Riffs präsentierte und Ritchie Blackmore die schnellen Akkordfolgen spielte, die er später zu einem der grossen Markenzeichen der Band ausarbeitete. Das war der entscheidende Unterschied zum Vorgängeralbum "Shades Of Deep Purple". Dort war orchestraler, leicht progressiver Rock die bestimmende Soundfarbe, der Blues kam nur bedingt, wenn überhaupt vor. Auch für das selbstbetitelte dritte Album wählte die Gruppe wie zuvor schon auf ihren anderen beiden Werken einen Coversong, den sie mit Bedacht aussuchten und der hervorragend ins musikalische Gesamtbild hinein passte: "Lalena", eine Folk-Nummer aus der Feder von Donovan Leitch. Deep Purple's eigene Interpretation fügte dem Original wenig Innovatives hinzu, evozierte aber noch einmal wunderbar das Lebensgefühl der Hippiejahre, einen Sound, den sie ab jetzt nicht mehr spielen wollten. Abgesehen davon croonte hier Rod Evans fantastisch. Evans war ein hervorragender Sänger, was er später, nach seinem Abgang bei Deep Purple auch in der Gruppe Captain Beyond eindrücklich unter Beweis stellen würde. Die Band verabschiedete sich mit diesem Stück von den 60er Jahren, was auch ein bisschen schade ist, denn mit dem Titel "Bird Has Flown" zeigen Deep Purple, dass sich aus klassischem Sixties Pop und Hardrock durchaus etwas sehr Innovatives und Ungewöhnliches zaubern liess, denn die in dem Stück von Ritchie Blackmore eingesetzte Wah Wah Gitarre klang sehr stark und die Nummer wurde auch für die LP-Aufnahme noch einmal verändert gegenüber jener Version, welche die Band zuvor auf einer Single veröffentlicht hatte.

Das Eröffnungsstück der LP "Chasing Shadows" gilt unter vielen Fans von Deep Purple als kleiner Klassiker, zeigt es doch bereits sehr schön die Richtung für die grosse musikalische Reise, die kurz bevor stand. Sehr einnehmend wirkt der lässige Latin Beat, den der Schlagzeuger Ian Paice hier nicht restlos unaufdringlich klopft. Genau dieser einnehmende Groove kam dann später wieder im Titel "You Foo No One" zum Einsatz. "Chasing Shadows" mit seinem perkussionslastigen Einschlag schiebte Ian Paice in den Vordergrund, der anschliessend allerdings von Jon Lord's Spinett-Spiel auf dem Stück "Blind" wieder in den Hintergrund rückte. "Fault Line" und "The Painter" entpuppten sich als zwei sehr starke psychedelische Songs. "Fault Line" mit seinem verzerrten Bassspiel ging nahtlos in "The Painter" über. Ein Stück, das durchaus auch auf den Scheiben der amerikanischen Hippie-Band H.P.Lovecraft hätte vertreten sein können. "Why Didn't Rosmary ?" ist ein knochentrockener Song mit augenzwinkerndem Text. "The Bird Has Flown" war ein längeres Opus, das Ritchie Blackmore's tolles Wah Wah-Spiel auf der Gitarre in den Vordergrund schiebte und am Schluss mit seinem dramatischen Höhepunkt zum grandiosen Finale aufbaute. Anschliessend ging die Band zum Höhepunkt der Platte über. Mit orchestraler Begleitung wurde das von Ritchie Blackmore und Jon Lord komponierte "April" kredenzt. Das Stück über den Monat April, das musikalisch irgendwo zwischen Flower Power, Rock und Kammermusik angesiedelt war und das ich grundsätzlich für eines der besten Stücke von Deep Purple überhaupt halte, überzeugte durch eine enorme spielerische Qualität, ein unfassbar schönes Feeling und liess wohl nicht wenige Fans hoffen, dass hier ein Grundstein gelegt würde für kommende Werke mit ähnlichen solcher 'Suiten'. Tatsächlich liess sich die Gruppe danach auch immer wieder zu Ausflügen in die klassische Musik begeistern. Es folgten bald darauf symphonische Werke, die zumeist von Jon Lord als treibender Kraft inszeniert wurden, so etwa das Projekt "Concert For Group And Orchestra" oder das Jon Lord Solo-Werk "Gemini Suite", um nur zwei der Wichtigsten zu nennen.

Das sich über 12 Minuten erstreckende "April" bestand aus drei unterschiedlichen musikalischen Teilen. Ein sehr ruhiger, melodiöser erster Teil eröffnete die Suite, der ausschliesslich von Jon Lord und Ritchie Blackmore mit Keyboards und Gitarre gespielt wurde. Ein Chor setzte später ein und dieser leitete danach über in Jon Lord's Klassik-Part (der später im Werk "Concert For Group And Orchestra" seine Vollendung fand), der Jon Lord's orchestrale Vorstellung des Monats April reflektieren sollte. Bestehend aus zwei Flöten, zwei Oboen, Cor Anglais, zwei Klarinetten, zwei Geigen, einer Viola und zwei Cellos kam hier nicht mehr die Musik einer Rockband zum tragen, sondern klassische Kammermusik, die überaus anspruchsvoll und sehr einnehmend auskomponiert und kompetent gespielt und ausserdem zum sterben schön anzuhören war. Der dritte und letzte Teil von "April" besass einen repetitiven Charakter: Dieses Schlussteil zeigte das Muster des ersten Teils, war aber in Bandbesetzung als überaus rockendes Finale in Szene gesetzt worden. "April" galt und gilt zurecht als das zentrale Stück dieses dritten Deep Purple Albums, obwohl es erst am Ende des Albums steht. Hier führte die Band in kompakter und beindruckender Form noch einmal vor, wofür die sogenannte "Mark I" Besetzung stand: Orchestraler Früh-Progrock, für den vor allem der Organist Jon Lord stand, Sxties Folk-Pop, für den Rod Evans und Nick Simper verantwortlich zeichneten und frühen Hardrock, den Ritchie Blackmore und Ian Paice in der Folge zum zentralen Merkmal des Gruppensonds weiterentwickeln sollten.

Ein Klassiker wurde dieses dritte Album von Deep Purple leider nicht. Die Band bestand bei deren Veröffentlichung bereits nicht mehr in dieser Form. Nick Simper und Rod Evans waren aus der Band ausgeschieden - Nick Simper gründete die tolle Rockband Warhorse und Rod Evans wechselte zur Gruppe Captain Beyond. Gleichzeitig rekrutierten Jon Lord und Ritchie Blackmore Ian Gillan von Episode Six als neuen Sänger, der noch dazu seinen eigenen Bassisten in der Person von Roger Glover mitbrachte. Ein Mitbringsel, das besonders für Nick Simper ein Nachspiel haben sollte. Er musste die Herausgabe seines Bass-Equipments erst mühselig juristisch erwirken. Es mag schon ein bisschen schade sein, dass sich die als "Mark I" bekannte Band-Besetzung nicht länger hat halten können und wir niemals erfahren werden, was diese Gruppe in ihrer alten Besetzung noch alles hätte leisten können. Dieses letzte Werk der "Mark I" Besetzung zeigte eine Gruppe, die vom Sixties Pop kommend bereits in der Tür zum Progrock stand; um dann im letzten Moment doch noch ein Haus weiterzugehen zum Hardrock. Die brilliante Mixtur aus wundervollen Hippie-Zitaten der ausgehenden 60er Jahre und anspruchsvollem Progrock, der um Elemente aus der klassischen Musik erweitert wurde, hätte bestimmt funktionieren können.



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