Oct 5, 2016

SAVOY GRAND - People And What They Want (Glitterhouse Records GR 598, 2005)

Erst kam das wundervolle Werk "Dirty Pillows". Dann das von allen Seiten wohlwollend rezensierte und für hervorragend befundene "Burn The Furniture". Anschliessend zog der Sänger, Gitarrist und Songschreiber Graham Langley nach London, einen Job anzunehmen. Schliesslich braucht es ein wenig Geld, um Musik machen zu können. Doch es ist schwierig, ein Bandgefüge aufrechtzuerhalten, wenn die räumliche Nähe fehlt. Und überhaupt: Der Moloch London, bekannt als zu gross, zu teuer und der Job zu finster. Als Konsequenz zog Graham Langley später zurück nach Nottingham, wo er mit dem Schlagzeuger,Klavier- und Perkussions-Spieler Kieran O’Riorden die bejubelte EP "The Lost Horizon" in seinem eigenen kleinen Heimstudio aufnahm. Die Gruppe legte danach dieses prächtige Werk vor, das ich zu den besten Alben der 00er Jahre zähle. Mit von der Partie auf diesem Album waren Neil Wells (Bass), Neil Johnson (Gitarren) und Mark Simms (Drums) als neu in die Band eingetretene Musiker, nebst Graham Langley und Kieran O'Riorden. Simms konnte seine Leidensfähigkeit gleich bei der ersten Tournee im Frühjahr 2004 unter Beweis stellen, als er die gesamte Tour mit eingegipstem Bein absolvierte. Als Schlagzeuger wohlgemerkt!

Savoy Grand sind wahre Meister der Stille. Ihre Musik ereicht eine Intensität, wie sie nur wenige andere Musiker und Bands hinbekommen. Die leise, eindrückliche Magie der Reduktion ist ihr Geheimnis. Erst durch das Schweigen, durch den sich ergebenden Raum, die dadurch entstehenden Möglichkeiten, entsteht Spannung. Alles klingt aus, lässt sich Zeit. Nachdruck durch Nachhall. Durch diese Reduzierung der Mittel entsteht zwangsläufig mehr Raum für Worte. Langley's klarer, in den Vordergrund gemixter Gesang soll verstanden werden. Er erzählt mit einer unglaublichen Abgeklärtheit und Ernsthaftigkeit Geschichten aus dem Leben eines zumeist Leidenden. Eines Leidenden allerdings, dessen Blick auf die Welt und ihre Menschen nicht durch Trübsal verzerrt wird. Sein Blick ist klar, seine Beobachtung präzise, seine Fähigkeit zur Abstraktion indes ebenbürtig. Der Begriff Melancholie beschreibt es falsch. Weil sie sich nicht entlädt. Sich nicht Freiheit verschafft.

Savoy Grand haben mit ähnlichen Bands wie Coldplay oder Keane allerdings nichts zu tun. Ihr Sound auf "People And What They Want" ist näher an David Gray's wunderbar intensiven Soundperlen, die genauso auf reduzierte Instrumentierung setzen und der Intensität der Worte, des Gesangs, der Inbrunst ganz allgemein das meiste Geicht beimessen. Eine wohlig walzende Wucht von einer Platte. "People And What They Want" ist eine Kathedrale. Die Sagrada Familia in Musik. Zeit und Raum sind nicht entscheidend. Jedem Ton, jedem Wort wird der Platz zugestanden, den er braucht. Ohne Kompromisse. Und heraus kommt Staunen. Und Songs, die anders sind als andere, die aber recht eigentlich als eben Songs funktionieren. In einer Bandbreite von fast Popsong zum Halb-Epos. Lautmalerei hat hier keinen Platz. Vielleicht sind Mark Hollis und Talk Talk wirklich der beste Vergleich: Ähnlich wie sie sind Savoy Grand genauso sehr mittendrin im Pop wie eben nicht. Es ist schon merkwürdig, wie still Musik stehen kann, ohne stehen zu bleiben.

Das Zauberwort heisst Entschleunigung. Damit treffen die Musiker von Savoy Grand einen wichtigen Zahn der Zeit: Die Hektik, die uns Menschen alle irgendwann krank macht, erfährt hier eine wohlige akustische Auszeit, der sich viel mehr Hörer hingeben müssten. Die Musik hier ist leise und doch vernehmlich, unaufdringlich und doch unermüdlich, unangestrengt und doch hochgradig ambitioniert. Auf "People And What They Want" nehmen sich die vier Melancholiker aus England eine ganze Menge Zeit: Acht Songs verteilen sich auf eine Gesamtlaufzeit von knapp 67 Minuten. Da ist viel Platz für Stille, für Pausen, für Ungespieltes, das bei Savoy Grand mindestens so wichtig ist wie das, was gespielt wird. Das haben sie beispielsweise mit Miles Davis, Van Morrison und den späten Talk Talk gemeinsam. Da ist auch viel Platz für Seufzen und Sehnen, für eine Poesie, die mit Pop-Konventionen nichts mehr am Hut hat, viel Platz für den Hörer, sich mit dem Gehörten auseinander zu setzen. Die Töne tropfen, die Melodiebögen sind weit geschwungen, die Musik wogt und weht und fliesst, bewegt sich sachte wie ein Schlafwandler, eine Stimme raunt von dunklen Geheimnissen.

In Zeiten wie heute, wo viel möglichst mit Trala und Bombast auf sich aufmerksam machen muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden, kommen Savoy Grand, machen leise "pssst" und flüstern sich in unser Gehör und von dort dirket ins Herz hinein. So grandios kraftvoll und doch so bescheiden sanft. Wunderschön.


 

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