HAWKWIND - Warrior On The Edge Of Time
(United Artists Records UAG 29766, 1975)
Hawkwind, die Pioniere des Space Rock - wobei dieser Begriff eigentlich viel zu kurz greift - sind eigentlich so etwas wie die dunkle Seite der Hippies: Schmutzig, verschwitzt, abgerissen, statt bei naivem Peace und Love wesentlich näher bei den schmuddeligen Rockern - statt knuddelige Hobbits eher raumfahrende Orcs, die im losen Kollektiv mit nur einem recht engen Kern (angeführt von Kapitän und Mastermind Dave Brock) manchmal recht dilettantisch improvisieren. Und ab und an dann Geniestreiche ablieferen, wie das phänomenale 75er Werk "Warrior On The Edge Of Time". Das Album gilt auch heute noch als eine der besten Hawkwind-Platten, wenn nicht gar als ihre Beste überhaupt. Die ganze Musik des in sich geschlossenen Werks ist absolut organisch und von einander untrennbar, alles ist im "flow", es gibt nichts, was nicht passen würde, selbst die leicht schräg wirkenden sogenannten "Spoken Word"-Einschübe gehören dazu. Die Musik von Hawkwind hatte sich in den ersten paar Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, und vom anfänglich noch da und dort eingestreuten Bluesfeeling etwa des Debutalbums von 1970 war hier fünf Jahre später nichts mehr zu hören. Stattdessen hatte sich die Band vom verkifften und oftmals recht monotonen Space- und Weltraum-Geräuschkulissen-Rock zum veritablen Progressive Rock entwickelt, der sowohl Anspruch und Vielfältigkeit vereinte. Es waren vor allem die beiden Schlagzeuger Simon King und Allan Powell, die sich hier kongenial ergänzten; nachzuhören etwa auf den Top-Titeln "Opa-Loka" oder "Magnu", zwei der stärksten Titel, die Hawkwind je verfasst haben.
Dem Werk zugrunde liegt eine Fantasy-Geschichte des Sword & Sorcery-Autors Michael Moorcock, der noch öfter mit Hawkwind zusammenarbeiten sollte, somit ist "Warriors On The Edge Of Time" auch als Ganzes ein Konzept, das über ein in sich geschlossenes Storybook verfügt. Synthesizer und Gitarren spielen abwechselnd die führenden Rollen, Simon King sorgt für perfekten Drum-Einsatz und Nik Turner würzt mit Saxophon, Oboe und Flöte. Obwohl das Werk jetzt 25 Jahre alt ist, hat es nichts von seiner Frische verloren, Hawkwind präsentiert sich extrem spielfreudig.
Die Mitglieder der britischen Gruppe Hawkwind gelten als Begründer des sogenannten Space Rock, einer psychedelischen Spielart des Hard Rock. Die Band wurde 1969 gegründet und hat 1970 ihr erstes Album vorgelegt. Gründer und einziges konstantes Mitglied ist der Gitarrist Dave Brock. Der grösste kommerzielle Erfolg der Gruppe war die Top 10 Single "Silver Machine" im Jahre 1972. Mehrere Alben der Band konnten sich in den Top 50 der englischen Albumcharts platzieren. Die höchstplatzierten Alben waren "In Search of Space" (1971) auf Platz 18, "Doremi Fasol Latido" (1972) auf Platz 14, "Space Ritual" (1973) auf Platz 9, "Hall Of the Mountain Grill" (1974) auf Platz 16, "Warrior On The Edge Of Time" (1975) auf Platz 13 und "Live 79" (1979) auf Platz 15. Unter den Dutzenden von Musikern, die im Laufe der Jahre der Band angehörten, ragen die Texter und Sänger Robert Calvert und Michael Moorcock heraus, deren Themenwelt zahlreiche Alben der Gruppe bestimmte. Zu den weiteren bekannten Bandmitgliedern zählen Lemmy Kilmister (Motörhead), der von 1972 bis 1975 Bassist von Hawkwind war, sowie der Keyboarder Tim Blake und der Geiger Simon House, die auch bei verschiedenen anderen Bands mitgewirkt haben. Eine markante Rolle hatte ebenfalls der Saxofonist Nik Turner inne, der von 1969 bis 1976 und nochmals in den 80er Jahren zur festen Besetzung zählte und mit anderen Hawkwind-Musikern verschiedene Ablegerbands wie Inner City Unit, Space Ritual oder Hawklords bildete. Zu den langjährigen aktuellen Mitgliedern zählt der 1988 zur Band gestossene Schlagzeuger Richard Chadwick.
Der Sänger und Gitarrist Dave Brock, geboren am 20. August 1941, gründete gemeinsam mit dem Gitarristen Mick Slattery und dem im Jahre 2012 verstorbenen Bassisten John Harrison im Jahre 1969 eine zunächst noch namenlose Band, zu der auf eine Zeitungsanzeige hin der damals 17-jährige Schlagzeuger Terry Ollis stiess. Zur Band zählten ausserdem zwei Freunde Brocks, die sich zunächst als Roadies und im Laufe der Zeit als Musiker nützlich machten: Michael "Dik Mik" Davies am Synthesizer und Nik Turner am Saxophon, der auch sang. Der Proberaum der Band befand sich in Ladbroke Grove, einem Viertel des Londoner Stadtteils Notting Hill, das damals als Hochburg der Hippieszene galt. Hier probten und spielten damals regelmässig unter anderem auch die Gruppen Quintessence, The Pink Fairies, T. Rex, Bubastis, Cochise, High Tide und Steamhammer. Vor einem Auftritt mit High Tide und Skin Alley in der All Saints Hall gab sich die Gruppe den Namen 'Group X', änderte ihn aber bald in Hawkwind Zoo und verkürzte ihn auf einen Rat von John Peel hin zu Hawkwind. Die Gruppe absolvierte zahlreiche Auftritte in der damaligen Londoner Acid-Szene.
Während der Aufnahmen zur ersten, von Dick Taylor produzierten gleichnamigen LP der Band stieg Gitarrist Slattery aus und wurde durch den Gitarristen Huw Lloyd-Langton ersetzt (ebenfalls 2012 verstorben). Die erste Langspielplatte wurde indes kein kommerzieller Erfolg, brachte der Gruppe aber genug Bekanntheit ein, um auch auf Festivals ausserhalb Londons zu spielen. Beim Bath Festival kam es zum Schulterschluss mit den Pink Fairies, zwischen den Bands entwickelte sich eine rege Zusammenarbeit, die in gemeinsamen Konzerten als 'Pinkwind' gipfelte und zu denen es später weitere personelle Verflechtungen geben würde. Der exzessive Drogenkonsum führte zu einem regen Wechsel in der Besetzung. Gitarrist Lloyd-Langton verliess die Gruppe aufgrund von Drogenproblemen. Für Bassist Harrison sprang erst Thomas Crimble von Skin Alley, später Dave Anderson von Amon Düül II ein. Als Sänger kam der Autor und Strassentheater Künstler Robert Calvert hinzu. In dieser Besetzung spielte die Gruppe 1971 ihr zweites, von George Chkiantz produziertes Album "In Search of Space" ein. Für die graphische Gestaltung des Albums zeichnete Barney Bubbles verantwortlich, dessen Renommée als Covergestalter auf diesem und späteren Hawkwind-Alben gründet und der auch das sonstige visuelle Erscheinungsbild der Band geprägt hat. Das Album erreichte Platz 18 der englischen LP-Charts.
Bald nach den Aufnahmen verliessen jedoch Terry Ollis und Dave Anderson die Band. Anderson verliess die Band nach acht Monaten wegen unterschiedlicher musikalischer Auffassungen und gründet eine Band mit Namen Amon Din, der unter anderem auch Huw Lloyd-Langton (Gitarre) und John Lingwood (Drums) angehörten. Als neue Musiker kamen der Schlagzeuger Simon King und am Bass Lemmy Kilmister hinzu, der zuvor bei der Beatcombo The Rockin’ Vickers Gitarre gespielt hatte. Dik Mik verliess die Band ebenfalls und wurde durch den Keyboarder Del Dettmar ersetzt. Als Dik Mik dann doch zur Gruppe zurückkehrte, blieb man vorerst bei zwei Keyboardern. Zu jener Zeit begann die Gruppe auch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Autor Michael Moorcock, dessen Texte zahlreiche Hawkwind-Veröffentlichungen inspiriert haben, und mit der Tänzerin Stacia Blake, die bis 1975 mit ihren freizügigen Tänzen massgeblich zur Bühnenshow der Band beitrug. Hawkwind konnten 1972 mit der Single "Silver Machine" einen respektablen Hit verbuchen, der Platz 3 der britischen und Platz 1 in den Schweizer Charts erreichte. Der Erfolg ermöglichte die rasche Aufnahme des Studioalbums "Doremi Fasol Latido" sowie die Space Ritual Tour, während der 1973 ein Livealbum mitgeschnitten wurde, das ebenfalls Chartplatzierungen erreichte. Die nächste Single-Veröffentlichung "Urban Guerilla" stieg zwar auf Platz 39 in die englischen Charts ein, wurde dann jedoch wegen zeitgleich stattfindender Attentate nicht mehr im Radio gespielt.
Fast jedes nachfolgende Album wies eine andere Besetzung der Band auf. Dik Mik und Robert Calvert verliessen die Gruppe 1973. Da auch Del Dettmar seinen Rückzug ankündigte, verpflichtete man den Geiger und Keyboarder Simon House von High Tide, der mit Hawkwind durch Nordamerika tourte und auch 1974 bei den Aufnahmen zum Vorgänger-Werk "Hall Of The Mountain Grill" mitwirkte. Als Ersatz für den zeitweilig verhinderten Schlagzeuger Simon King stiess Alan Powell zur Band, blieb dann aber als zweiter Drummer, während Del Dettmar endgültig seinen Abschied nahm. Das letzte mit Lemmy eingespielte Album, "Warrior On The Edge Of Time" von 1975, lehnte sich an eine Geschichte von Michael Moorcock an. Bei einer nachfolgenden Nordamerika-Tournee wurde Lemmy an der kanadischen Grenze wegen Drogenbesitzes festgehalten und wegen der sich ergebenden Verzögerungen aus der Band gefeuert. Er erlangte danach mit seiner eigenen Band Motörhead, benannt nach einem Song, den er für Hawkwind verfasst hatte, grosse Popularität. Ersetzt wurde er bei Hawkwind durch Paul Rudolph von den Pink Fairies, während deren Gitarrist Larry Wallis unterdessen zu Motörhead stiess. Nach einem Gastauftritt beim Reading Festival 1975 kehrte Robert Calvert wieder fest zur Band zurück. Tänzerin Stacia verliess dagegen die Gruppe, heiratete später den Musiker Roy Dyke (Ashton, Gardner & Dyke).
"Warrior On The Edge Of Time" gilt unter Hawkwind-Kennern als eines der qualitativ hochwertigsten Alben der Band. Dies unterstreicht nicht nur die Ausgangsgeschichte von Michael Moorcock, sondern auch die klar gewachsenen kompositorischen Fähigkeiten der Musiker. Der vor allem in den frühen Jahren zelebrierte, oft ausufernd gespielte, ja eigentlich eher gejammte Space Rock, der manchmal sehr monoton wirkte und zeitweise ausschliesslich von seinen elektronischen Effekten lebte, geriet hier zunehmends in den Hintergrund. Die Kompositionen wirkten ausgereifter, durchdachter und sehr gut arrangiert, was sich allerdings bereits auf dem Vorgänger-Album "Hall Of The Mountain Grill" abzeichnete. Man kann durchaus sagen, dass sich Hawkwind 1975 auf ihrem kreativen Höhepunkt befanden.
Das Werk zeigte erstmals auch klar progressive Elemente, was vor allem in der Konzept-Story begründet lag, aber auch in musikalischer Hinsicht gelten konnte. Das Werk zeigte zwar noch immer alle Facetten der bisherigen Musik, jedoch wirkte die Platte insgesamt wesentlich reifer und erwachsener. Anspruchsvolle Musik war das auf jeden Fall, auch wenn noch immer viele versponnene Space-Ausflüge zu finden waren. Hawkwind waren aber spätestens mit diesem Werk keine verkiffte Hippie-Band mehr. Andererseits waren all die Jahre zuvor genauso prägend für eine ganze Szene, die sich im Grunde erst mit der Band Hawkwind überhaupt etablieren konnte. Nicht nur der Space Rock, sondern auch der Stoner Rock fand und findet seine Roots immer wieder bei der genialen Band von Dave Brock, diesem bis heute sträflich unterbewerteten Künstler. Für mich persönlich gehört die "Warriors On The Edge Of Time" zusammen mit der "Hall Of The Mountain Grill" und der "Doremi Fasol Latido" zu den besten Werken der Gruppe.
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