Dec 16, 2015


KAYAK - See See The Sun (EMI Records Holland 5C 056-24 933, 1973)

Ganz egal, mit welchem Stil ein Rocker in den 70er Jahren zum Erfolg kam: Hinterfragt man seine Laufbahn, wird man feststellen, dass er in den 60er Jahren wohl in irgendeiner Beat-Band angefangen hatte. Das gilt auch für den aus dem holländischen Hilversum stammenden Keyboarder Ton Scherpenzeel, der neben der Schule mit seinem Freund Pim Koopman eine Hobby-Band aufzog, die in der Umgebung die Keller unsicher machte. Die Band nannte sich Boulder Dash. Die Band gewann sogar mal einen schulinternen Bandpoll (also doch ;-)...). Sie spielte ausschliesslich Coversongs, vor allem poppige Balladen. Das änderte sich mit der Zeit, als Ton Scherpenzeel das Konservatorium besuchte, wo er Klavier und Kontrabass studierte.

Mittlerweile hatte die Band ihren Namen gewechselt, und in die Band kamen Gitarrist Ron Van Der Heiden und Pianist Chiel Van Praag (Ton Scherpenzeel bediente damals den Bass). Die Band nannte sich nun The High Tide Formation. Das war 1970 und da erschien auch eine einzige Single dieser Band, die sich kurz darauf wieder auflöste. „Musikalische Differenzen“ lautete wie so oft der Trennungsgrund. Pim Koopman und Ton Scherpenzeel sahen das Ganze wesentlich ernster als die übrigen Mitglieder der Band und so starteten Ton und Pim eine neue Band mit Namen Kayak, dessen weitere Mitglieder sich allesamt im Konservatorium von Hilversum fanden. Dort studierte unter anderem auch Max Werner. Schnell stellte sich heraus, dass Max ein hervorragender Sänger war und so probte man neues Songmaterial ein. Zur Band gesellten sich noch Bassist Michael Marion und Gitarrist Johan Slager. Basser Marion wurde kurz darauf durch Cees Van Der Leeuwen ersetzt. In dieser Besetzung ging Kayak dann an den Start.

Der nächste Schritt war selbstverständlich die Erstellung eines Demos, auf welchem unter anderem der Song „Mammoth“ enthalten war. Der Pianist Chiel Van Praag hatte gute Kontakte zu EMI und die wiederum brachten die Band mit dem Manager Frits Hirschland zusammen, der bereits die Geschicke der holländischen Formation Earth & Fire lenkte. Der handelte dann einen Vertrag mit EMI aus. Zwar hatte die Band ihre Demos auch zu Polydor geschickt, doch diese Firma war nicht daran interessiert, die Band eigene Stücke spielen zu lassen. Vielmehr lag Polydor’s einziges Interesse an der Band darin, sie zu einer Art zweiten Gruppe Focus zu entwickeln, die ihre Ideen und Interpretationen aus der klassischen Musik herholte. Das aber war Kayak zu wenig. Schliesslich spielte die Band bereits zu diesem Zeitpunkt ausschliesslich Eigenkompositionen. Folglich also landete man bei EMI und veröffentlichte vorab die Single „Lyrics“, und kurz darauf das erste Album „See See The Sun“, ein typisches Artrock-Album, bei dem allerdings bereits für Kayak – den Namen hatte man übrigens Manager Frits Hirschland zu verdanken! – typische Melodien auffielen.


Doch Einflüsse von Yes und Vergleiche mit Genesis drängen sich geradezu auf, zumal wie bei Peter Gabriel und Co. Eindeutig die inzwischen von Ton Scherpenzeel bedienten Keyboards im Vordergrund standen und Max Werner’s Stimme obendrein auch noch wie die von Gabriel klang. Die beiden ersten Singles „Lyrics“ und „Mammoth“ platzierten sich dennoch für eine neue Band überraschend gut: Die Erste auf Platz 20, die Zweite auf Platz 13 der holländischen Charts. Sicherlich auch ein Ergebnis der eifrigen Tour-Tätigkeit, die man fast sofort nach Vertragsabschluss aufgenommen hatte und die das Quintett durch Holland, Deutschland und die Benelux-Staaten führte.

Band intern schien man den eigenen Musikstil gefunden zu haben, und bald nach dem Debut erschien das stilistisch ähnlich gelagerte zweite Album (schlicht „Kayak“ betitelt). Pim Koopman und Ton Scherpenzeel waren erneut die federführenden Musiker auf dem Zweitling. Der erste grosse Einschnitt in der Geschichte der Band Kayak war dann die Produktion der dritten LP, „Royal Bed Bouncer“. Zum einen komponierte erstmals Pim Koopman keine Songs mehr, die Songs wurden ausschliesslich von Ton Scherpenzeel geschrieben. Und zum zweiten war mit Bert Veldkamp ein neuer Bassist gekommen. Das Ergebnis konnte sich hören lassen: Zweifellos war dies die ausgereifteste Platte bis dato, und die Songs wurden auch immer eingängiger, was sich auch auf die Verkaufszahlen auswirkte. Verglichen mit den ersten beiden Alben war diese LP eine deutliche Veränderung, auch wenn sie damit noch nicht die vordersten Ränge der Charts belegen konnten. Man darf durchaus behaupten, dass Kayak auf diesem Album einen deutlich identifierbaren Stil entwickelten, bestehend aus dem prägnanten Gesang von Max Werner sowie den typischen Kompositionen von Ton Scherpenzeel, die zumeist glänzend die Balance zwischen Artrock-Instrumentation und Pop-Melodie hielten. Damit fand Kayak den Musikstil, den sie bis heute beibehalten sollten, zumal ab „Royal Bed Bouncer“ Ton Scherpenzeel alleiniger musikalischer Kopf der Band war und blieb. Aehnlich wie diese LP bot auch das Folgealbum „The Last Encore“ 1976 eine gekonnte Synthese aus Art- und Poprock, obwohl die Songs nicht ganz so gelungen waren wie die vorher auf „Royal Bed Bouncer“. 

In einer anderen Hinsicht stellte diese Platte eine wichtige Zäsur in der Bandgeschichte dar: Pim Koopman, mit Ton Scherpenzeel und Max Werner der Gründer der Band, verliess diese. Nicht im Streit, wie dies oftmals der Fall ist, sondern um sich der Produktionstätigkeit verstärkt zu widmen. In dieser Eigenschaft konnte er einige Erfolge verbuchen, vor allem in den Achtziger Jahren. So war er beispielsweise für den Hit „Sausalito Summernight“ von Dutch Diesel verantwortlich. Pim Koopman wurde bei Kayak durch Charles Lois Schouten ersetzt, während der ebenfalls ausgeschiedene Bassist Bert Veldkamp in Theo De Jong seinen Nachfolger fand. 

Diese Besetzung war für die erfolgreichste Phase von Kayak verantwortlich. Es folgte die Veröffentlichung der nächsten LP, betitelt „Starlight Dancer“. Auf diesem Album fand sich der Titel „I Want You To Be Mine“, welcher die verantwortlichen Herren von Janus Records in Amerika vollends überzeugten, sodass die Platte auch dort - erstmalig für Kayak überhaupt - offiziell veröffentlicht wurde. Der Song wurde als Single ausgekoppelt und schaffte es auf Anhieb in die Top 50, völlig überraschend für die Band und dessen Management. Die waren zu der Zeit noch immer am feiern, dass sie überhaupt einen Vertriebsdeal in Amerika ergattern konnten. In jenen Tagen war auf dem amerikanischen Markt ausser Golden Earring kaum eine holländische Band medienpräsent. Für seriöse Plattensammler nicht unwichtig ist die Tatsache, dass es sich bei der amerikanischen Version von „Starlight Dancer“ auf Janus Records nicht um dieselbe Platte handelt wie bei der europäischen Version. Die US-Version ist eine Zusammenstellung von Titeln der beiden LP’s „Starlight Dancer“ und „The Last Encore“. Wer weiss, wie das weitere Schicksal der Band verlaufen wäre, hätte man zu dem Zeitpunkt den Durchbruch in Amerika geschafft.

Doch trotz mehrerer guter Angebote - unter anderem waren Auftritte als Vorgruppe für die damals äusserst erfolgreichen Supertramp im Gespräch - verhinderte quasi die Rezession im Musikbusiness den Trip und so bleib dieser Hit, „I Want You To Be Mine“, der einzige in den USA für Kayak. Auch innerhalb der Band hatte sich einiges verändert: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Starlight Dancer“ wollte Sänger Max Werner nur noch als Drummer innerhalb der Band fungieren und der Bassist verliess daraufhin die Band, sodass die paradoxe Situation entstand, dass Kayak exakt zu dem Zeitpunkt, der wohl als der Erfolgreichste in der Bandgeschichte angesehen werden kann, als eigentliche Band gar nicht mehr existierte. Als „vielversprechendste Band 1978“ wurden Kayak gehandelt, und dies nicht ohne Grund. Denn mit dem erneuten Drehen des Personalkarussels wurde aus der Klassikrock Band Kayak praktisch über nacht eine richtig gute Popband mit „Classic“ Flair: Für Theo De Jong sprang Ton’s Bruder Theo Scherpenzeel ein und als Leadsänger verpflichtete man Edward Reekers. Die beiden Ehefrauen der Scherpenzeels (Katharine und Irene) stiessen als Background-Sängerinnen unter der Bezeichnung The Kayettes zur Band. Musikalisch führte das zum wohl ausgereiftesten Album bis dato: „Phantom Of The Night“, das für mich persönlich bis heute ihr absolutes Highlight geblieben ist (vielleicht neben dem Debutalbum, das aber natürlich musikalisch noch viel „klassischer“ und progressiver war). 

Der kommerzielle Weg der Band führte - bei immer noch besseren kompositorischen Leistungen - zwangsläufig schnurgerade in die Charts: Die traumhaft schöne Rockballade „Ruthless Queen“ wurde zum Top 10 Hit in Holland. Doch das war noch längst nicht der Höhepunkt für die Band: Nach Platz 8 in Holland folgten mit „Keep The Change“ (Rang 5 in Holland, 7 in Belgien) und „Anne“ (6 in Holland, 7 in Belgien und 11 in Deutschland) zwei weitere veritable Hits für die Band, die damit den Bekanntheitsgrad in ganz Europa merklich erhöhen konnten. Ein Jahr später schaffte die Band mit dem Nachfolge-Album „Periscope Life“ etwas, was sonst nur die Top Acts der Popmusik schaffen: Drei Nummer Eins Hits von ein- und demselben Album: „Total Loss“ (Rang 1 in Holland und Belgien), „Periscope Life“ (Rang 1 in Holland, Belgien und Deutschland) und „If You Really Need Me Now“ (Rang 1 in Holland, Belgien, Luxemburg und Platz 4 in Deutschland). Die LP „Periscope Life“ war übrigens noch einmal in Amerika aufgenommen worden, und zwar von John Tilly, einem bekannten Westcoast Produzenten, der unter anderem auch schon mit Kansas, Fleetwood Mac, der Michael Stanley Band und John Cougar Mellencamp zusammengearbeitet hatte. In kommerzieller Hinsicht, wie auch vom künstlerischen Gehalt her gesehen, stellt „Periscope Life“ wahrscheinlich schon den Zenit der Band Kayak dar, wenngleich sich auch das 2 Jahre später folgende Album „Merlin“ äusserst gut verkaufen konnte. 

„Merlin“ präsentierte sich in einem ambitionierten Artrock-Gewand, meilenweit weg von jedem kommerziellen Hintergedanken, und genau das machte das Album so hörenswert. Ton Scherpenzeel zog noch einmal sämtliche Register seines Könnens und schüttelte scheinbar mühelos anspruchsvollste Songs aus dem Aermel, die dem Vergleich mit jeder anderen Artrock Band standhalten können. Die Platte wurde zu einem riesigen Erfolg in Holland, und es erstaunt nicht, dass selbst noch der einzige, einigermassen radiotauglich ausgelegte Song der Platte, „Seagull“ als Single erneut Nummer 1 in Holland wurde. Ein letztes Mal folgte eine Tournee, und danach war plötzlich Sense. Max Werner hatte damals einen Singlehit und stand nicht mehr zur Verfügung. Somit hörten Kayak auf zu existieren, sehr zum Leidwesen all ihrer Fans. Ton Scherpenzeel und Johan Slager gründeten die Formation Europe, die 1983 auch ein Album einspielte, das allerdings völlig unbeachtet unterging. Ton Scherpenzeel stieg dann bei Camel ein, wo er auf 3 Platten als Stamm-Bandmitglied mitmusizierte. In der Folge veröffentlichte er 2 Solo-Scheiben, die in Richtung New Age tendierten und ebenso unbeachtet blieben wie eine wunderschöne Artrock-Platte von Flairck, die Ton Scherpenzeel produzierte. 

Kayak kamen in den 90er Jahren wieder auf die Beine, und haben seither einige gute Platten veröffentlicht, von denen das Album "Close To The Fire" sicher das Beste ist. Dort findet sich auch eine Neueinspielung des früheren Nummer Eins Hits "Ruthless Queen". Doch wer sich intensiv mit der Band beschäftigen möchte, sollte sich doch eher der Anfangsjahre widmen, denn in der Zeit von 1973 bis 1982 hat die Band nicht weniger als 9 wirklich hervorragende Scheiben eingespielt, die jede für sich ein Genuss ist. Seien es die mehr oder weniger unter dem Label „Classic Rock“ firmierenden ersten 3 Platten, die kommerzieller ausgelegten Alben der Endphase von 1978-1982, oder die anspruchsvollen Platten „The Last Encore“ und „Starlight Dancer“ dazwischen (welche der Band auch den einzigen Top 50 Hit in den Staaten ermöglichten): Kayak zu entdecken bedeutet vor allem einen Songwriter (Ton Scherpenzeel) kennenzulernen, der es perfekt versteht, künstlerischen Anspruch und kommerzielle Songstrukturen so miteinander zu verschmelzen, dass eine Musikmélange entsteht, die in dieser Form wohl einmalig ist. 

Kayak haben danach etliche gute Alben gemacht, immer an der Schnittstelle zwischen Poprock, Art-Rock und Progressive Rock. Auch Konzeptalben gehörten ins Repertoire der Band (z.B. "Merlin"). Unter dem Strich bleibt für mich jedoch ihr Debutalbum dasjenige, das von Anfang bis Schluss begeistern kann und von mir daher erste Wahl wäre, wenn Jemand sich mit dieser Band auseinandersetzen mag.










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